■ Press-Schlag: Übersprungshandlung
Auf der Insel guckt man etwas pikiert über den großen Teich. Ist ja auch ein bißchen heavy, die erste WM nach dem Zweiten Weltkrieg ohne angelsächsische Beteiligung. Als big mama des Fußballs tatenlos zusehen, wie der soccer in der Neuen Welt nach heftigsten Geburtswehen noch einmal entbunden wird. Rebirthing ohne Beherzigung der Ahnengalerie.
Dennoch: „Die Welt sieht die WM aus der britischen Perspektive.“ Schrieb der Independent in seiner unendlichen fußballnationalen Trostlosigkeit auf der Suche nach einem Erfolgserlebnis. Es gelang dem Blatt, den geneigten Insulaner der Weltmeisterschaft teilhaftig werden zu lassen. Immerhin (!): Zwei der sechs Fernsehleute, die bei der Übertragung der 52 Spiele Regie führen, stammen aus dem großen Britannien. Was wir davon haben? Statt rüder Zweikämpfe viele, viele Nahaufnahmen, weil man jene im voyeuristischen Königreiche offenbar so gerne guckt.
Aber auch in puncto kickerisches Nahkampfverhalten kommen wir auf unsere Kosten. Statt schwarzweiß sehen wir die britischen Importschlager. Statt Gary Lineker verfolgen wir eben Roland Nilsson (Sheffield Wednesday/ Schweden) bei der Arbeit am Ball. Die „Irländer“ (Sprechweise Lothar Matthäus) wurden nicht nur wegen ihres Trainers landesweit als englisches B-National-Team adoptiert – die meisten ihrer Balltreter verdienen ohnehin in der englischen Liga ihre Brötchen. So konnte man an den Fernsehern auf der Insel, als Charltons Elf noch tapfer auflief, den Ton abdrehen und leise „God save the Queen“ mitsummen, um sein fußballerisches Identifikationsloch problemlos zu stopfen. Ähnliches galt für die Norweger.
Mit 30 Legionären ist das Mutterland des Fußballs im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vertreten. Das ist Rekord. An zweiter Stelle liegt die Bundesliga, mit 18 Gastarbeitern, die im Falle eines deutschen Ausscheidens noch nicht einmal die Illusion eines kompletten Ersatzkaders verbreiten könnten. RaSo/coh
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