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„Illegal muß auch Spaß machen“

Fünf Jahre lang entzog sich der zu zehn Monaten Haft verurteilte Totalverweigerer Heiko Streck seiner Verhaftung / Nun ist das Urteil verjährt: „Nur nicht einschüchtern lassen!“  ■ Von Michaela Schießl

Berlin (taz) – Die Sache begann harmlos. 1979 stellte der Hamburger Heiko Streck einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Und mußte gleich durch mehrere Instanzen, bis man bei ihm ein Gewissen diagnostizierte. Denn der Mann war renitent. Und bestand auf einer politischen Begründung für seine Gewissensnöte.

Jahre später kam der Pazifist durch, und zog im Mai 1986 das friedensweiße Sanitäterjäckchen über. „Als ich meinen Zivildienst bei der Johanniter-Unfall-Hilfe begann, war ich zuversichtlich. Ich dachte, man könne was bewegen.“ Streck wurde Vertrauensmann der Zivis und startete eine Aktion, die seinen Vorgesetzten den Schweiß auf die Stirn trieb: Die „Aktion Koffer packen“. Es könne nicht angehen, daß Zivis länger dienen als Soldaten.

Streck wurde abgemahnt, und, als er die Klappe immer noch nicht halten wollte, nach Ostfriesland strafversetzt. „Das war der Auslöser, hier wurde der Charakter des Zivildienstes deutlich: paramilitärische Zwangsarbeit. Ich bin halt kein Kopfmensch, ich mußte das erst erleben.“

Kurz zuvor hatte er bei einem Treffen der Vertrauensmänner drei Zivildienstleistende kennengelernt, die sich entschlossen hatten, ihren Dienst abzubrechen. Streck schloß sich an. Zu viert gründeten sie das Totalverweigerer-Kollektiv „Die Desertöre“ und kündigten am 1. Oktober 1986 gemeinsam den „Zuvildienst“.

„Damals ahnte ich nicht, was auf mich zukommen würde. Ich war 26 und noch ein Bub.“ Nun ist der Buchhändler 34, und seit einer Woche nicht mehr auf den Fahndungslisten der Polizei. Fünf Jahre lang gelang es ihm, sich der zehnmonatigen Gefängnisstrafe, die der Hamburger Richter Nils Graue verhängte, zu entziehen. Denn Streck ist schneller, als die Polizei erlaubt.

Das erste Mal entwischte er während der Verhandlung vor dem Amtsgericht. Graue ließ, erbost über die lautstarken Proteste der Sympatisanten, den Saal räumen. „Das Theater mach ich nicht mit“, verkündete Streck, und weg war er. Während Polizisten die Störer prügelten, spazierte der Angeklagte aus dem Saal, bat den Pförtner, das Portal zu öffnen und entschwand. Schäumend vor Wut verhängte Graue Haftbefehl.

Streck tauchte ab. Aus Gründen der politischen Publicity zog er im Juni 1987 in die Büroräume der Hamburger GAL-Fraktion, ins friedenspolitische Asyl. Als er nach drei Wochen das erste Mal in den Biergarten wollte, griff der Staatsschutz zu. Artig ließ sich Streck in den Streifenwagen verfrachten. Und büchste bei der ersten roten Ampel aus. Ein Wettrennen begann zwischen Streck und einem Polizeibeamten. Streck verlor. „Der Flüchtige schien erschöpft“, sagt das Polizeiprotokoll. Vier Tage lang durfte sich der Totalverweigerer in der Untersuchungshaft erholen, bis Haftverschonung erfolgte. Doch alle Verhandlungen vor dem Landes-, Oberlandes- und Bundesverfassungsgericht schlugen fehl. Ein Gnadengesuch, unterstützt von Petra Kelly, Robert Jungk, Antje Vollmer und Pfarrer Hellmut Gollwitzer, lehnte der Hamburger Senat ab. „Damals begann die Zeit der falschen Fährten. Ich zog aus meiner Wohnung aus und meldete mich in Berlin an.“ Immer wieder tauchten Polizeibeamte auf, immer erfolglos. „Man muß lernen, mit dem Verfolgungsdruck umzugehen“, sagt Streck. „Diese Angst- essen-Seele-auf-Mentalität darf einen nicht befallen.“ Daß heißt: alltäglich bleiben. Streck ging weiter seiner Teilzeit-Arbeit als Buchhändler nach, studierte Geschichte und Literatur. „Dieser Mythos vom Leben im Untergrund stimmt nicht. Es sind Kleinigkeiten, die sich ändern. Als ich meinen Paß verlängern ließ, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Da schaut man sich die Ausgänge genauer an. Am Telefon meldet man sich nicht mehr mit Namen, und auch beim Autofahren ist man vorsichtig.“ Die wahren Probleme liegen im Kopf: „Das Thema Kriegsdienstverweigerung hatte mich völlig besetzt. Das nervt auf Dauer auch die besten Freunde. Wenn man sich nicht frei macht, knasten sie einen innerlich ein. Illegal muß auch Spaß machen.“

Streck ließ sich nicht lahmlegen. Der Gesuchte strengte frech einen Arbeitsprozeß gegen seinen Chef an, beantragte Wohngeld und kandidierte auf der Grünen-Liste für die Bürgerschaft.

Seit dem 10. Juli ist seine Strafe verjährt. Fünfzehn Jahre lang kämpfte Streck um das Recht, friedlich zu sein, er bereut bis heute nichts: „Man muß sich einfach wehren. Die Überwachung ist längst nicht vollkommen.“

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