: "Kein Sozialbetrieb"
■ BVG-Tickets sollen zum Jahresende teurer werden / Seniorenkarte gestrichen / Umweltkarte familienfreundlich
Die Fahrpreise für Bus und Bahn werden zum Jahreswechsel erneut teurer: Rüdiger vorm Walde, Vorstandsvorsitzender der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), begründete gestern den Preisanstieg von rund sieben Prozent mit dem jährlichen Defizit des Verkehrsunternehmens von 1,4 Milliarden Mark, von dem das Land Berlin in diesem Jahr nur noch 970 Millionen Mark übernimmt. Die Schulden des Verkehrsunternehmens würden bis Ende kommenden Jahres auf eine halbe Milliarde Mark anwachsen.
Die BVG, die die geplante Tariferhöhung mit der Bahn AG (S-Bahn), sieben im Umland benachbarten Verkehrsbetrieben und dem Senat abstimmen muß, will auch die Angebotspalette der Fahrausweise ändern. Am härtesten getroffen sind Rentner. Die Seniorenkarte für Personen ab 60 Jahre (70 Mark im West-, 50 Mark im Ostteil) soll ersatzlos entfallen. Hintergrund: Das Land Berlin subventioniert seit diesem Jahr nur noch die Tickets für Sozialhilfeempfänger und Auszubildende. Die beiden Tickets soll es deshalb auch weiterhin geben. Den vom Senat gestrichenen Zuschuß zur Seniorenkarte könnte die BVG nicht aus eigener Tasche zahlen, sagte gestern vorm Walde, „denn wir sind kein Sozialunternehmen, sondern ein Wirtschaftsbetrieb“.
Bei Einzelfahrscheinen soll es keinen verbilligten Tarif mehr für den Ostteil geben. Eine Kurzstrecke kostet dann 2,50 Mark (jetzt 2,30/2,00 Mark West/Ost), der Normaltarif steigt von 3,50/3,10 Mark auf 3,70 Mark.
Für Tages-, Wochen-, Monats- und Jahreskarten bleibt dagegen die Tarifmauer stehen:
– die Tageskarte verteuert sich im Westen von 13 auf 15 Mark, im Osten von 6,50 auf 9 Mark,
– die Wochenkarte kostet im Westen statt 33 dann 40 Mark, im Osten statt 28 dann 35 Mark,
– der Preis der Umweltkarte steigt von 82 auf 88 Mark und von 70 auf 78 Mark.
Allerdings gibt es beim Einzelfahrschein, der Tages-, Wochen- und Umweltkarte auch Verbesserungen. Mit der Erhöhung der Tarife darf beim Einzelfahrschein und bei Sammelkarten ein Gepäckstück oder ein Hund mitgenommen werden. Die Gültigkeit der Tageskarte verlängert sich von 24 auf 30 Stunden, die Wochenkarte gilt statt von jetzt montags bis samstags sieben Tage ab dem Zeitpunkt des Lösens. Die Umweltkarte wird familienfreundlich: Gilt sie heute immer nur für eine Person, soll sie künftig werktags ab 19 Uhr und an Wochenenden wie Feiertagen ganztägig für zwei Erwachsene sowie drei Kinder (bis 14 Jahre) gelten.
Vorm Walde erwartet, daß die Tariferhöhung niemanden abschreckt: „Wir werden nach wie vor den Zweitwagen verhindern.“ Auch 1995 will die BVG eine Milliarde Fahrgäste befördern. Mit der leichten Preiserhöhung sollen sich die Einnahmen um 80 Millionen Mark verbessern. Dennoch droht 1995 ein Defizit von 200 Millionen Mark. Weitere Angebotseinschränkungen wie die Einstellung von Buslinien und Taktverlängerungen wollte vorm Walde nicht ausschließen. Das Land Berlin als Eigentümer müsse sich überlegen, „was ihm Verkehrsleistungen wert sind“. Vorm Walde dementierte aber, daß die BVG Zonentarife einführen will: „Der heutige Einheitstarif ist das Beste, was ich mir vorstellen kann.“
Die Opposition kritisierte gestern die BVG-Pläne. Die PDS schlug vor, den Preis der Seniorenkarte an das Einkommen der über 60jährigen zu koppeln. Die Grünen drängten erneut auf die Verlängerung des Busspurnetzes und die Einführung und Verteuerung von Parkgebühren. Alleine mit den Parkgebühren könnte das Land eine halbe Milliarde Mark einnehmen und für den öffentlichen Nahverkehr verwenden. Die FDP setzte sich für eine Strukturreform der BVG nach dem Vorbild der Bahn AG ein: Bus, U-Bahn und Tram sollten eigene Gesellschaften werden, um Kostentransparenz und Übersichtlichkeit herzustellen. Dirk Wildt
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