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Wir sind hier nicht in Hollywood

Ein Tag mit Thomas Koschwitz oder: Wie man ein „Late-Night-Baby“ gebiert  ■ Von Christoph Amend

Der Mann leidet. Eben noch schwitzte er auf dem Beifahrersitz eines Rennautos in der Nordschleife des Nürburgrings, jetzt schickt ihn sein Redakteur auch noch hinter die Büsche. Für die Kamera muß Thomas Koschwitz seinen eher gedrungenen Körper schwungvoll über eine Leitplanke wuchten. „Okay, Thomas. Das war schon sehr gut. Und jetzt das Ganze noch einmal!“ Da muß auch Michael Graf lachen. Der Formel- 3-Fahrer macht das Spiel für die Kamera artig mit. Natürlich auch, weil so das Firmenlogo seines Sponsors öfter einmal zu sehen sein wird. Zwei Tage später wird Graf in der Nacht-Show zu Gast sein. Die von ihm und Koschwitz aufgeführten Gags sollen dann als Einspielfilm das Publikum unterhalten. „Der Michael ist ein prima Kerl“, lobt Koschwitz den 22-jährigen mit der berühmten Schwester. „Der ist schon sehr nett, wie man sieht“, läßt sich Graf über Koschwitz vernehmen. Und dann im Nachsatz: „Aber man weiß nie, was die sich so einfallen lassen.“

Als sich der „Koschwitz“-Producer Jörg Grabosch vor geraumer Zeit sein „Late-Night-Baby“ einfallen ließ, war er noch beim Pay-TV Kanal „premiere“ angestellt. Dort unter anderem für die „0137“-Sendungen verantwortlich, hatte Grabosch die Entwicklung einer eigenen Late-Night- Show im Kopf. Ganz nach Vorbild der US-Formate sollte die premiere-Late-Night frecher und vor allen Dingen witziger sein als die RTL-Konkurrenz „Gottschalk“. Nach langem Zögern des premiere-Programmchefs handelte dann ein Kollege aus Köln. „Marc Conrad hat mir gesagt: ,Mach' es!'“, sagt Grabosch heute. Kurz darauf saß er in Köln und erarbeitete mit seiner Produktionsfirma „Medienfabrik“ (u.a. „Ilona Christen“) das „Koschwitz“-Konzept für RTL.

Lange suchte das Team um Grabosch nach einem geeigneten Moderator. Im Frühjahr beschloß man dann, dem bislang nur HR-Radiohörern bekannten Thomas Koschwitz eine Chance zu geben. In der Führungsetage von RTL setzte man jedoch klare Vorgaben: Mindestens 500.000 Zuschauer müsse die neue Nachtshow von Gottschalks 1,8 Millionen Fans während der Urlaubsvertretung halten, andernfalls fliege sie gleich wieder aus dem Programm.

Tatsächlich war der Start von „Koschwitz“ nicht gerade erfolgversprechend. Christina Applegate, die „Dumpfbacke“ der „Schrecklich netten Familie“, verpaßte ihren Flieger und erschien nicht. Aber enttäuschend war vor allem das Auftreten des Moderators: Ohne Biß und Elan schien sich Koschwitz durch die Sendung zu mogeln. „Ich habe mich zu Beginn wirklich nicht zu Hause gefühlt“, erinnert sich Koschwitz. „Da gab es Gäste, die ich sofort hätte rausschmeißen sollen.“

Rocksänger Rio Reiser war so ein Fall. „Der hatte überhaupt keine Lust, den Mund aufzumachen!“ Solche Gäste würden heute nicht mehr mit Samthandschuhen angefaßt, erklärt Koschwitz selbstbewußt. Andreas Elsholz beispielsweise hat das schon zu spüren bekommen. Der Auftritt des RTL- Teeniestars aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ war an Peinlichkeit kaum zu überbieten gewesen. Als er am Ende dann ein paar Sätze aus Shakespeares „Hamlet“ vom Blatt ablesen sollte, weigerte sich der Soap-Hauptdarsteller ausgerechnet mit den Worten: „Ich bin ja kein Schauspieler!“

Das Studio betritt der Moderator zum ersten Mal an diesem Tag gegen 18 Uhr. Der Trailer für die morgige Sendung muß aufgezeichnet werden. Ein halbes Dutzend Mal liest Koschwitz den vorbereiteten Text vom Teleprompter ab, aber die Technik fabriziert einen Fehler nach dem anderen. Die Regie wird langsam ungeduldig: Perfektionismus ist im Budget nicht vorgesehen. „Wir sind hier nicht in Hollywood!“

Nach der ersten Voraufzeichnung – Country-Legende Johnny Cash wird zum Sendetermin um 23.12 Uhr schon wieder im Flugzeug sitzen – zieht sich Koschwitz zum Briefing in die Redaktionsräume zurück. Jörg Grabosch und sein Team bereiten ihren Schützling Koschwitz auf seine Gäste vor: Ex-„Cats“-Sängerin Angelika Milster und die beiden Nachwuchsmoderatoren Arabella Kiesbauer und Kai Pflaume. Einige Zeit später hat Koschwitz die wichtigsten Stichwörter im Kopf, um mit den dreien ins Gespräch zu kommen. Bitter nötig, denn am Mittagstisch kannte er noch nicht einmal die Namen seiner Talkgäste.

Es ist mittlerweile 21 Uhr und die Zuschauer warten, an ihren Bratwürsten kauend, vor dem Produktionsgebäude. Auch eine 10. Schulklasse aus Anklam in Mecklenburg-Vorpommern will sich den „Dicken“, wie sie ihn nennen, einmal im Studio ansehen. Die Eintrittskarten hat ihre Lehrerin Brigitte Stehle besorgt: „Nicht, weil ich den Typen so toll finde. Die Schüler sollen hinter die Kulissen gucken.“

Für sie selbst ist der Ausflug eher eine Qual. Sie findet Koschwitz' Humor nämlich „zum Schuhe ausziehen“. Ihre Schüler widersprechen da heftig: „Der ist doch ziemlich cool und allemal witziger als Gottschalk.“ Der Ansicht war man auch beim Hessischen Rundfunk, für dessen Popkanal Koschwitz jahrelang die Vormittagssendung moderierte. Seitdem er jedoch nach Köln zog, ist man in Frankfurt sauer. Verständlich, sank doch seit Koschwitz' Weggang die Einschaltquote von „hr3- extra“ um 50 Prozent.

Das alles interessiert den Marburger jedoch im Moment herzlich wenig. Denn an diesem Abend läuft nichts wie geplant. Koschwitz verplappert sich mit Arabella Kiesbauer, die es geschickt versteht, auf jede Frage hin mit einem Wortschwall für ihre neue Sendung zu werben. Entnervt greift Jörg Grabosch vom Regieraum aus ein und schickt zwei neue Stichwörter über den Teleprompter. Mitten im Satz stellt Koschwitz seine Frage noch eben um. „Na also“, freut sich sein Produzent. Geht doch.

Graboschs erklärtes Vorbild ist der US-Late-Night-König David Letterman. Von der Studiodeko über die Sendestruktur bis hin zu einzelnen Gesten Koschwitz' hat man sich bei Letterman bedient. Trotzdem weist Grabosch den Plagiatsvorwurf von sich: „Sicher ist das Format ähnlich. Aber wir haben noch keinen einzigen Gag geklaut.“ Auch die von Letterman eingeführten „Charts“ hat Grabosch für seine Showidee übernommen. Anfangs habe er sich ein wenig gesträubt, aber nach der Premiere gab es dafür nur positive Reaktionen: „Klar, daß wir dabei geblieben sind.“

Natürlich hat auch der ehemalige premiere-Chefredakteur Grabosch die Schwächen der ersten Nachtshows gesehen, aber Thomas Koschwitz ist nun mal sein Mann: „Der mußte in die Geschichte erst einmal reinwachsen.“ Seit drei Wochen ist Grabosch mit der Sendung richtig zufrieden und hofft nun auf die Vertragsverlängerung. RTL-Programmchef Marc Conrad scheint von der Qualität der „Nachtshow“ durchaus angetan, entscheidend wird wohl die solide wirtschaftliche Basis des Projekts sein. Denn preiswerter als „Gottschalk“ mit seinen teuren Stars ist Koschwitz allemal. Bei einer Vertragsverlängerung nach der Sommerpause würde der kleine Thomas wahrscheinlich auf den 0.30-Uhr-Sendeplatz nach dem großen Thomas rutschen. Und ob zu diesem Zeitpunkt noch so viele Zuschauer einschalten werden, um die Werbewirtschaft zu überzeugen, ist fraglich. Von den 1,3 Mio. werden sich sicher einige in Richtung Bettkante verabschieden. Nur für einen steht das Überleben der Koschwitzschen Late-Night-Show außer Frage. Johnny Cash, gerade fleißig um sein Comeback bemüht, zeigt sich nach seinem Auftritt höflich begeistert von dem „German host called Thomas“: „Ich war bislang fünf Mal bei Letterman“, schwärmt er mediengerecht, „da werde ich diesen Thomas auch so oft besuchen.“ Klappern gehört eben hüben wie drüben zum Handwerk.

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