: Ein Tiger auf dem Sprung in den Club der Reichen
■ Demokratische Reformen nur langsam: Südkorea vor dem Beitritt in die OECD
Berlin (taz) – Wann ist ein Entwicklungsland entwickelt, wann ein sich industrialisierendes Land industrialisiert? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Südkoreaner ebensosehr wie mit den Atomkapazitäten des Nordens, denn im Juni einigten sich die Industrieländer darauf, Südkorea 1996 in ihren Club aufzunehmen: die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Die bevorstehende Mitgliedschaft des Südens wird dennoch vom Schattenboxen des Nordens mit seiner vermuteten Atomkapazität beeinflußt werden. Viele KoreanerInnen fürchten den politischen Zusammenbruch des Nordens mehr als seine Atomschläge. Eine Wiedervereinigung würde den Süden teuer zu stehen kommen: rund 200 Milliarden US-Dollar, schätzen Experten.
Die OECD mit ihrem Sitz in Paris hat ihren neuen Mitgliedern traditionell den Status des „entwickelten Landes“ verliehen. Der bringt Prestige, bessere Informationen und Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen. Als Mexiko Anfang dieses Jahres zum 25. Mitglied der OECD berufen wurde, war das Land seit der Aufnahme Neuseelands 1973 das erste neue Mitglied.
Trotz des jüngst verlangsamten Wirtschaftswachstums – im letzten Jahr „nur“ 5,6 Prozent – werden Südkoreas Erfolge in aller Welt gerühmt: Asiens erste Tigerökonomie, dreizehnte unter den Handelsnationen der Welt; sein Bruttosozialprodukt von 7.500 Dollar pro Kopf ist höher als das von Griechenland, Portugal, der Türkei und Mexiko, sämtlich OECD- Mitglieder. Es gehört zu den zehn weltgrößten Produzenten von Fahrzeugen, Halbleitern und Elektronik und ist im Schiffbau die Nummer eins. Seine transnationalen Firmen, ob groß oder klein, investieren inzwischen kräftig im Ausland.
„Entwicklung hängt nicht nur vom Bruttosozialprodukt ab“, sagt Park Tae Joo, der Vorsitzende einer größeren progressiven Gewerkschaft, der Korean Federation of Professional and Technicians Unions (KFPTU), und kürzlich Gast beim DGB-Kongreß in Berlin. „Präsident Kim (Yong Sam) sagte bei seiner Amtseinführung (im Februar 1993), Korea sei auf dem Weg zur Demokratie: Das glaube ich nicht.“
Formale Demokratie
Kim, der erste zivile Präsident Koreas seit 30 Jahren, hat größere Kampagnen für politische Reform und gegen die Korruption eingeleitet. Dennoch hat der Politiker viele der autoritären Gesetze und Praktiken seiner militärischen Vorgänger beibehalten. amnesty international berichtete im März, die Menschenrechtssituation habe sich unter der neuen Regierung „nicht wesentlich verbessert“. Die Organisation lobte Kim zwar, weil er 144 „politische Gefangene“ freigelassen hatte, stellte aber fest, daß 1993 unter dem drakonischen Gesetz zur nationalen Sicherheit – das sämtliche Kontakte zu Nordkorea verbietet – eine ähnliche Zahl verhaftet worden sei.
Kims politische Methode: einige Reformen und eine saubere Regierung gegen Zurückhaltung bei den Forderungen nach einem klaren Bruch mit Koreas Vergangenheit anzubieten. Weder Koreas Arbeitsgesetze, die aus der Zeit der Militärdiktatur stammen, noch die Taktik der Regierung bei Tarifverhandlungen und Streiks haben sich geändert. Die Regierung machte die „unsicheren ökonomischen Bedingungen“ verantwortlich, als sie 1993 ihr Versprechen brach, das Arbeitsrecht von Grund auf zu reformieren. Sie trat 1991 dem Internationalen Arbeitsamt bei, aber mehrere ILO-Kernkonventionen zur Assoziationsfreiheit und zu den Rechten auf Organisation und kollektive Tarifabschlüsse werden nach wie vor ignoriert.
Insbesondere bedeutet ein Verbot von branchenübergreifenden Gewerkschaften, daß die unabhängigen, progressiven Gewerkschaften, die seit 1987 entstanden, technisch gesprochen illegal bleiben, trotz ihrer Popularität im Vergleich mit der anerkannten, aber konservativen Federation of Korean Trade Unions (FKTU). In den Freihandelszonen, Schulen, Universitäten und dem öffentlichen Sektor bleibt jede gewerkschaftliche Organisation verboten. Etwa siebzig Arbeiter bleiben wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit im Gefängnis.
Hinsichtlich der Arbeitsbeziehungen war die Reaktion der Behörden auf die Streiks im letzten Jahr beim Maschinenbaugiganten Hyundai typisch. 8.000 Mann Bereitschaftspolizei wurden aufgeboten, um die Streikenden zu zerstreuen, und für die Festnahme von fünf Gewerkschaftsführern, die in die Auseinandersetzungen verwickelt waren, wurde eine Belohnung von 5 Millionen Won ausgesetzt (6.240 US-Dollar).
Die Regierung hat eine Obergrenze für Lohnerhöhungen festgelegt, was angesichts rapide steigender Miet- und anderer Kosten sogar die konservative FKTU gegen sie aufgebracht hat. Tatsächlich werden die progressiven Gewerkschaften trotz der rechtlichen Beschränkungen stärker, wobei die Gründung eines einzigen, 500.000 Mitglieder umfassenden nationalen Gewerkschaftsbundes für nächstes Jahr vorgesehen ist.
Auch Koreas Bild als ein asiatisches Wirtschaftsmodell hat teilweise gelitten. Die hohen koreanischen Auslandsinvestitionen haben häufige Berichte über schlechte Behandlung lokaler Angestellter durch koreanische Manager zur Folge gehabt. In China, Indonesien, Vietnam, Costa Rica und an anderen Orten wurden laut Arbeitsrechtsgruppen insbesondere Arbeiterinnen physisch und sexuell belästigt. „Die lokalen Arbeiter arbeiten nicht so hart wie Koreaner“, lautet die übliche Entschuldigung der Manager.
Aufgrund dieser Belege glaubt Park von der KFPTU, Koreas OECD-Mitgliedschaft solle auf Eis gelegt werden, bis die „Grundwerte“ der Institution hinsichtlich Demokratie und Menschenrechten beachtet werden. „Die OECD könnte auf Veränderungen drängen“, sagt er. Hugh Williamson
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