Die Magie der Vorsilbe „Öko“

Costa Rica, das mittelamerikanische Musterländle, steht am (Öko-)Tourismus-Scheideweg: Zwischen modellhaftem Tortuguero-Nationalpark und gigantischem Papagayo-Pauschaltourismus-Projekt  ■ Von Thomas Zimmermann

Wird in Costa Rica von Tourismus geredet oder geschrieben, ist meist die Vorsilbe Öko nicht weit. Dabei weiß niemand so genau, was sich hinter der Wortschöpfung verbirgt. Aber es verkauft sich, die Branche wächst jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich.

Auf der mittelamerikanischen Landenge zwischen Panama und Nicaragua gelegen und etwa so groß wie Niedersachsen, verbuchte das Land letztes Jahr mit 570 Millionen US-Dollar erstmals größere Einkünfte aus dem (Öko-)Tourismusgeschäft als aus dem traditionellen Bananen- oder Kaffee-Export.

Prognosen verheißen dem kleinen Land eine Verdoppelung der Besucherzahlen bis 1998, ein Ansturm, der, politisch und ökonomisch gewollt, ökologisch kaum zu verkraften sein wird. Dschungel- und Strand-Resorts schießen genauso aus dem Boden wie Tourveranstalter, die alle auf die magische Anziehungskraft von „Öko“ setzen. Doch unberührte Strände, reißende Gebirgsflüsse und artenreiche Fischgründe stehen als Ressourcen keineswegs so unbegrenzt zur Verfügung, wie die Verfechter einer ungezügelten Hausse glauben machen. Und auch (Öko-)Touristen, die ausschließlich der Natur wegen in Costa Rica einfliegen, verlangen nach einer Infrastruktur, die das Land an seine ökologischen Grenzen führt.

12 Prozent der Landesfläche sind als Nationalparks geschützt, weitere 10 Prozent genießen den Status von biologischen Reservaten und Wildtierschutzgebieten. Zusammen mit einer funktionierenden Demokratie, dem seit 1948 anhaltenden Verzicht auf eine Armee und einem der höchsten Pro- Kopf-Einkommen in der Region bildet das Park- und Schutzgebietssystem eine ideale Voraussetzung, die intakt gebliebenen tropischen Wälder zu erhalten, zu erweitern und das Land im Sinne der Rio- Konferenz 1992 nachhaltig zu entwickeln. Jim Barborak von der Carribean Conservation Corporation (CCC) mit Sitz in Florida drückt es so aus: „Costa Rica verfügt über die optimalen inneren und äußeren Bedingungen, den Schutz der natürlichen Ressourcen zum Anliegen eines ganzen Volkes machen zu können. Öko-Tourismus ist dabei eine unbedingt notwendige Einnahmequelle, um die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung zu befriedigen.“

Der massenhafte Andrang erweist sich bereits heute als Bumerang. Der Manuel-Antonio-Nationalpark mußte in der letzten Saison mehrfach wegen Überfüllung geschlossen werden, der Monteverde Cloud Forest bekam den Spitznamen „Crowd Forest“. Gleichzeitig wächst der touristische Müllberg, die Wasserqualität in den Küstenorten sinkt, der Fischreichtum wird durch luxuriöse Sportfisch-Resorts dezimiert.

CCC hingegen favorisiert ein Konzept, das die verschiedenen Interessen von Touristen, Tourismusmanagern, Behörden, Bauern, Rinderzüchtern, Fischern und Umweltschützern integriert. Die Organisation entwarf eine visionäre Idee, welche die Amerikanische Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) veranlaßte, ihr zwischen 1990 und 1995 1,6 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen: Paseo Pantera (Der Weg des Panthers), ein Netz durch biologische Korridore miteinander verbundener Nationalparks und Schutzgebiete vom Südosten Panamas bis in den Süden Mexikos.

(Öko-)Tourismus kommt in diesem Plan eine tragende Rolle zu. „Sind die Projekte langfristig geplant, gut durchdacht und dementsprechend umgesetzt, gibt es keine Opposition der Umweltschützer und keinen Widerspruch zum Ziel, den Wald zu bewahren“, sagt Diane Jukofsky von der Rainforest Alliance, einer ebenfalls in Mittelamerika engagierten Umweltorganisation. Nur die schiere Zahl der Menschen untergräbt auf Dauer solche Bemühungen.

Der 1970 eingerichtete Tortuguero-Nationalpark an der Atlantikküste Costa Ricas gilt allen Beteiligten als erfolgreiches Modell für die Integration von Arten- und Waldschutz, nachhaltiger Entwicklung und blühendem (Öko-)Tourismus. Die Strände des Parks dienen vier gefährdeten Arten von Meeresschildkröten zwischen Juli und Oktober als Eiablageplatz. Bis 1970 lebten viele Einheimische vom Schildkrötenfang und dem Verkauf ihrer (heute noch insbesondere bei Bodybuildern beliebten) Eier. Mittlerweile leben die 500 Einwohner Tortugueros vom Schutz der Tiere, ihrer wissenschaftlichen Erforschung und den Touristen. Unter ihrer Aufsicht werden die BesucherInnen an die Strände begleitet, wenn die schweren Tiere an Land kriechen.

Die Zahl der TouristInnen bleibt beschränkt. In den Park geschlagene Pfade, auf denen man Faultieren, Tapiren, Ozelots, drei verschiedenen Affenarten und bei enormem Glück auch einem Jaguar begegnen kann, werden nach ein oder zwei Jahren wieder geschlossen, um dem jeweiligen Sektor des Parks Erholung zu gönnen.

Wie vernetzt das Ökosystem und wie verletzlich auch ein absolutes Schutzgebiet ist, belegen die Auswirkungen des Bananenanbaus jenseits der Parkgrenzen. Nicht nur vergiften die auf den Plantagen verwendeten Chemikalien, die flußabwärts treiben, das weitverzweigte Kanalsystem des Tortuguero-Parks. Die gleichzeitig vom Regen weggespülten, pestizidimprägnierten Plastiksäcke, mit denen die Bananenstauden vor Ungeziefer und Vögeln geschützt werden, mißverstehen die Schildkröten als Quallen. Sie schlucken die Beutel und gehen erbärmlich zugrunde. „Zäune allein reichen nicht“, weiß Jim Barborak vom CCC, „Pufferzonen-Management ist zur größten Herausforderung der Umweltschützer geworden.“

Während Tortuguero dafür sorgte, das Bild Costa Ricas als (Öko-)Tourismusparadies zu formen, bedroht ein Pauschaltourismusprojekt an der pazifischen Küste die auch von einheimischen Politikern gern illustrierte Darstellung. SITUR, ein mexikanischer Tourismuskonzern, und 18 weitere Konzessionäre entwickeln mit politischer Rückendeckung, tatkräftiger Unterstützung des costaricanischen Tourismusbüros (ICT) und einer Milliarde harter US- Dollar ein für Landesverhältnisse gigantisches „Sun and Beach“-Hotelkomplex-Projekt, das die Zahl der Hotelzimmer in Costa Rica verdreifachen soll.

„Hundert Hotels mit sechzig Betten, verteilt über das Land, schaffen mehr Arbeitsplätze als ein Komplex mit sechstausend Betten, in denen die Pauschalurlauber alles inklusive bekommen und für deren Buffets kaum Personal gebraucht wird“, bemängelt Roberto Morales, Vertriebschef eines ausschließlich dem (Öko-)Tourismus verpflichteten Veranstalters. An 17 Stränden auf 2.000 Hektar einer Landzunge im südlichen Teil der Bucht von Papagayo sollen in den nächsten zehn Jahren 25.000 Hotelbetten entstehen. Das sind „weniger pro Hektar als in Acapulco“, wie Manuel Chacón, Tourismusminister der im Februar abgewählten Regierung Calderón, sich zu rechtfertigen pflegte. Der geringste Teil der Einnahmen wird Costa Rica zugute kommen.

Nicht nur wegen der Bedrohung seiner eigenen Interessen wirft Morales den Papagayo-Verantwortlichen nachlässige Planung, den Bruch bestehender Gesetze und das willkürliche Verändern des Masterplans vor, der ursprünglich die Bettenzahl auf zweitausend begrenzte. Obwohl in Costa Rica gesetzlich geschützt, finden innerhalb des 50 Meter breiten Küstenschutzstreifens Arbeiten statt. Es wurden Bäume gefällt, die nicht hätten gefällt werden dürfen.

„Die ICT-Oberen sind sich nicht im klaren, welche verheerenden Auswirkungen die Zusammenarbeit mit einer Firma wie SITUR haben wird“, sagt Morales. „Die treiben weltweit 14 solcher Projekte voran. Mit ihrem Werbeetat allein machen sie sämtliche Anstrengungen des ICT zunichte, Costa Rica als öko-touristisches Musterland zu verkaufen.“

Die Umweltgruppen laufen Sturm gegen Papagayo. Die Regierung Calderón und insbesondere Minister Chacón peitschten das Projekt gegen alle vernünftigen Einwände voran. Jim Barborak: „Chacón nannte die Umweltschützer wiederholt Wassermelonen: außen grün, innen rot – ein absurder Vorwurf.“

Tortuguero oder Papagayo? Die neue Regierung von Präsident Figueres, gerade dabei, eine weitere Prüfungsphase einzuleiten und nach bisherigen Stellungnahmen gegen das Großprojekt, wird zu entscheiden haben, in welche Richtung die nachhaltige Entwicklung Costa Ricas vorangetrieben wird. Brian Harris von der in San José ansässigen Wochenzeitung The Tico Times ist überzeugt: „Costa Ricas einzige Chance ist die Nische eines Hardcore-Öko-Tourismus, klein, fein, individuell.“

Nicht nur TouristInnen, die einheimische Bevölkerung, die tropischen Wälder, Flüsse und Küsten könnten von einer solchen Beschränkung profitieren. Ob das gegen die Verlockung von einer Milliarde Investitionsdollar ausreicht, steht dahin. Unter Umständen richtet die drohende (Öko-)Tourismus-Welle die entsprechenden Schäden an, nur unter einem anderen Markenzeichen und mit Reisenden, die ganz „bewußt“ Costa Rica als Ziel auserkoren.