piwik no script img

Die Eingreiftruppe greift nicht mehr

Frankreich beginnt mit dem Abzug aus Ruanda / Nach anfänglicher Skepsis bewerten Hilfsorganisationen jetzt die Intervention positiv / Neue humanitäre Katastrophe befürchtet  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Bleibende Spuren hinterläßt die französische „Opération Turquoise“ in Ruanda vor allem bei den Neugeborenen. Dutzende von Babys, die in den letzten Wochen unter französischer Besatzung geboren wurden, haben Namen wie „Pacifique Turquoise“, „Ange Turquoise“ oder ganz einfach „Mitterrand“ erhalten. Doch das ist wohl die dauerhafteste Wirkung der französischen Militärpräsenz im Südwesten Ruandas, deren Ende gestern mit dem Abzug der ersten 300 Mann eingeläutet wurde. Sie sollen durch der UNO unterstellte Senegalesen ersetzt werden.

Die 2.500 Soldaten zählende Militärmission hat mehrmals ihr Gesicht gewechselt. Am Anfang glaubte alle Welt, Paris wolle lediglich seinen alten Freunden helfen – der vor der Niederlage im Krieg gegen die RPF-Guerilla stehenden „Interimsregierung“ Ruandas, die von der UNO für die Ermordung Hunderttausender Ruander verantwortlich gemacht wird. Als die ersten Franzosen am 23. Juni bei Cyangugu die Grenze überquerten, begrüßten regierungstreue Milizionäre sie mit Spruchbändern. Ihr Erstaunen war groß, als die fremden Soldaten sich tatsächlich daran machten, von der Ermordung bedrohte Angehörige der Tutsi-Minderheit aus Lagern zu evakuieren und durch ihre Präsenz dem fortdauernden Völkermord entgegenzuwirken.

Nur zehn Tage später jedoch änderte sich die Lage. Die Franzosen blieben nicht in den Grenzgebieten, sondern drangen immer tiefer nach Ruanda ein – während gleichzeitig auf der anderen Seite die RPF immer schneller vorrückte. Ein blutiger Zusammenstoß zwischen den beiden sich mit tiefem Mißtrauen beäugenden Seiten schien unausweichlich. Die französischen Militärs verboten der RPF den weiteren Vormarsch und riefen das von ihnen kontrollierte Gebiet zur „Schutzzone“ aus – die RPF protestierte im Gegenzug, daß Kämpfer der „Interimsregierung“ bei den Franzosen Schutz gefunden hätten.

Doch auch diesmal kam es anders. Der befürchtete Konflikt blieb aus, Ruanda wurde faktisch im Verhältnis vier zu eins zwischen der RPF und den Franzosen zweigeteilt, und auch die von der RPF vermutete Kumpanei zwischen Franzosen und Massenmördern erwies sich als brüchiger als erwartet. In ihrem Radiosender, den die „Interimsregierung“ bei der Flucht mitgenommen hatte, wurde auf ruandisch gegen die Franzosen vom Leder gezogen; „Interimspräsident“ Theodore Sindikubwabo erklärte sich schmollend zum Rückzug ins zairische Exil bereit und verglich sich mit Frankreichs General de Gaulle im Jahre 1940, als die deutsche Wehrmacht Frankreich besetzte. Sollte heißen: Wir sind die Résistance, die RPF sind die Nazis – und die Franzosen sind Kollaborateure.

Elitekämpfer sind für Humanitäres ungeeignet

Mit dieser Verdrehung aller Tatsachen war der Grundstein für den von der „Interimsregierung“ organisierten Massenexodus aus Ruanda gelegt. Per Radio wurde die Bevölkerung aufgerufen, sich vor der „mordenden“ RPF und den „verräterischen“ Franzosen in vermeintliche Sicherheit zu begeben. Der Erfolg war überwältigend: Nahezu zwei Millionen Menschen verließen in wenigen Wochen das Land Richtung Zaire. Einige hunderttausend andere flohen in die französische Zone, wo sich nach unabhängigen Schätzungen mittlerweile nahezu eine Million Menschen aufhalten.

Diese Entwicklung schien die Franzosen eher zu überraschen. Unversehens wurden sie von einer militärischen Eingreiftruppe, die einerseits Morde verhindert und andererseits territoriale Pflöcke einschlägt, zu einer humanitären Schutztruppe, die Lebensmittel verteilen oder um ihr Gehalt nachsuchende Angestellte der staatlichen ruandischen Wasserbehörde vertrösten muß. Die französischen Elitekämpfer in Ruanda sind dafür denkbar ungeeignet und sehnen sich nach Ablösung durch UNO- Blauhelme. Der Abzug der Franzosen soll bis zum von der UNO gesetzten Termin 21. August abgeschlossen sein. Bis dahin hofft die UNO, 3.000 Soldaten in Ruanda stationiert zu haben.

So hat sich auch die Einschätzung der französischen Intervention seitens der Hilfsorganisationen ins Positive gewandelt. Anfangs weigerten sich viele Hilfsorganisationen, in der „Schutzzone“ zu arbeiten, weil sie den Vorwurf der Parteilichkeit fürchteten. Médecins Sans Frontières (MSF) sprach sogar von einer durch Frankreich künstlich herbeigeführten Notlage. „Die Intervention hat mehr Bedürfnisse geschaffen, als sie erfüllt hat“, meinte Anfang Juli MSF-Präsident Philippe Biberson gegenüber Libération. „Die Menschen sind in ein riesiges Netz gelockt worden, wo sie in völlige Abhängigkeit von internationaler Hilfe geraten sind.“

Inzwischen hat sich diese Sicht geändert. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) – die einzige Organisation, die die ganze Zeit über ihre Arbeit im Südwesten Ruandas fortführte – ist heute des Lobes für die Franzosen voll: „Die Schutzzone hat dazu beigetragen, Menschenleben zu retten“, meint IKRK-Sprecher Toni Burgener. „Solange die Franzosen da waren, sind Menschenleben nicht mehr in Gefahr geraten.“ John Magrath von Oxfam beschreibt den Sinneswandel so: „Wir waren erst skeptisch. Jetzt denken wir: Da die Franzosen nun einmal da sind, gibt es ein größeres Katastrophenpotential, wenn sie schnell wieder abziehen. Wir fürchten, daß alle Leute aus der Zone nach Zaire gehen.“

Kofi Annan, Untergeneralsekretär der UNO, hat aus demselben Grund an Frankreich appelliert, dazubleiben, bis eine UNO- Truppe einsatzbereit ist. Dringend ist auf jeden Fall verstärkte Hilfe in der französischen Zone. „Die Situation ist dramatisch“, sagt Toni Burgener. „Vor allem um Gikongoro (am östlichen Rand der Zone) ist der Ernährungszustand der Leute ziemlich schlimm.“ Nach seinen Angaben sollten ab gestern täglich vier IKRK-Hilfsflüge von Burundi aus in die Zone nach Cyangugu fliegen, um statt wie bisher 100.000 Menschen täglich 500.000 mit dem Nötigsten zu versorgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen