: Wo nur noch Unkraut blüht
■ Vorbei die Zeit, als man sich über den Kasernenhof am Niedersachsendamm ein Al Salam Aleikum zurief/ Plätze (2)
Vor zwei Jahren hatte das Übel angefangen, da wurden dem Platz am Niedersachsendamm die ersten Wunden zugefügt: Seine Außenhaut, der schmale grüne Gürtel aus Gärten, die von der Zwiebel bis zur Kirsche alles hervorbrachten, wurde aufgerissen. Der Sichtschutz zum Buntentor hin ging verloren, Bagger rollten an, gruben die Erde um – und hinterließen eine trostlose Brache, wo seither Wegerich und Löwenzahn die Herrschaft übernommen haben.
Die Kampfmittelräumung war der Grund, weshalb auf dem Ländchen hinter den ehemaligen Kasernen, in denen sich seit den 60er Jahren über 200 türkische Familien niedergelassen hatten, gebuddelt wurde. Danach sollte die Bebauung kommen. Insgesamt 140 zusätzliche Wohnungen sind dort geplant. „Allerdings erst in den nächsten fünf Jahren, je nach Finanzierungslage“, sagt Wendelin Seebacher, zuständiger Planer der „Bremischen Baugesellschaft“, der neuen Besitzerin von Land und Gebäuden. Die Laubenpieper sind sauer; für sie hieß es ja trotzdem Abbruch, für ihre Kinder einen Aufenthaltsort weniger – und für alle AnwohnerInnen einen trostlosen Ausblick auf verwüsteten Boden, der ihnen vorher doch viel bedeutet hatte.
Schon vor langen Jahren hatten die BewohnerInnen der zaunumwehrten Kasernengebäude zu Hacke und Schaufel gegriffen, ebenso wie zu Kelle und Pinsel: Ihr Vermieter, der Bund, hatte sich doch um nichts gekümmert, so sagen sie. „Wir haben das beste daraus gemacht“. Ins Zentrum der Wohnanlage, bis auf den riesigen ehemaligen Exerzierplatz, kamen selten Deutsche. Gärten und Häuser verdeckten den Einblick; selbst die Straßeneinfahrt neben der Polizeibereitschaft endete auf dem Platzquadrat, an dessen Rand die Gebäude noch in der militärischen Strenge von 1937 in Reih' und Glied stehen – mit Hindenburgs und Moltkes rissigen Konterfeis über den Eingangstüren.
Die Menschen, die dahinter wohnten, störte das am wenigsten. In diesem Viertel zählten andere Dinge. Man kennt sich – und trotz beengter und einfacher Wohnverhältnisse lebte man gerne hier. Schon wegen des großen Platzes in der Mitte. Da ruhten Frauen im Schatten neben bunter Wäsche. Da reparierten junge Männer ihre Autos und Familien grillten ihr Abendessen. Trotzdem blieb ein Feld für die Mädchen mit dem Volleyball und für den Sandkasten der Kleinsten.
Seit das alles in die Hand der „Bremischen“ geriet, hat sich das Leben auf dem ehemaligen Exerzierfeld geändert. Auf dem Platz, quer zu den alten Gebäuden, in denen die türkischen Familien wohnen, stehen nun zwei neue Häuserreihen stramm, die Fensteraugen geradeaus. Für 70 Wohnungen ist das Leben aus der Mitte des Platzes gewichen, die Drainage liegt noch offen: Rotbebändert ziehen sich tiefe Gräben durch das Gelände, die Kinder hüten einander, um nicht in Kanalisationsschächte zu fallen. „Das ist sehr gefährlich hier“, findet Nihal. Für sie ist der Platz schon gestorben: „Nur die Kleinen dürfen noch hier spielen“, klagt sie. Für Elfjährige wie sie heißt es Rücksicht nehmen. „Und wir?“
„Alles kaputt“, sagen auch die erwachsenen BewohnerInnen, wenn man sie fragt, was sie von der neuen Entwicklung halten. „Jetzt ist das ein richtiges Ghetto hier“, meint Ali Yavoz. 1969 zog er zu, „ich habe immer gerne hier gelebt“. Seit kurzem engagiert er sich im Mieterkomitee – gegen den Bauplatz und vor allem gegen den Maschinenkrach. Aber seit der Platz eine einzige Baustelle ist, würde er auch gerne wegziehen. Wenn er nur etwas fände. Etwas, das ihm und den seinen die verlorene Lebensqualität wiedergäbe. Eva Rhode
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