: Nationaler Mythos
■ Ein umstrittenes Spektakel zum 50.Jahrestag des Warschauer Aufstands
Warschau (taz) – „Der Warschauer Aufstand – ein nationaler Mythos“, betitelte dieser Tage eine große polnische Tageszeitung eine Meinungsumfrage zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstands am 1. August. Und wie ein großer nationaler Mythos werden die Feierlichkeiten seit dem Wochenende in Warschau auch begangen: mit unzähligen Feld- und Gedenkmessen, Kranzniederlegungen und Ordensverleihungen und Ansprachen. Mit großem Aufwand wurden Ende letzter Woche die sterblichen Überreste des Befehlshabers der Aufständischen, General Tadeusz Komorowski, aus Großbritannien eingeflogen, um am Samstag nach einer feierlichen Messe auf den Warschauer Powazki-Friedhof umgebettet zu werden.
Angesichts der Kritik an seinem Polen-Besuch erklärte Bundespräsident Roman Herzog im polnischen Fernsehen, er betrachte die Einladung Walesas als eine „große Geste“. Er äußerte jedoch auch Verständnis für diejenigen, die gegen seinen Besuch protestierten. Dazu gehören kleinere Veteranenorganisationen und ein Zusammenschluß mehrerer Rechtsparteien, darunter die Zentrumsallianz und die Christnationalen. Letztere sind der Ansicht, die Einladungen Walesas an Herzog und den russischen Präsidenten Boris Jelzin seien „eine Schande und eine Ohrfeige für die Veteranen“. „Wir sind noch nicht in der Lage, der Führung der Sowjetunion und deren politischen Erben zu verzeihen“, sagte ein antikommunistischer Partisanenveteran auf einer alternativen Gedenkveranstaltung am Freitag. Für die Kritiker der Einladungen haben die Feierlichkeiten auch einen tagespolitischen Charakter. Polens Rechtsparteien und ein Großteil der aus den USA, Großbritannien und Kanada angereisten EmigrantInnen sind ausgesprochen antikommunistisch und betrachten Polens exkommunistische Regierung als direkte Nachfolgerin des von ihnen bekämpften Sowjetsystems.
Auch unter den Veteranen gibt es Mißtöne: Eine Emigrantenorganisation protestierte gegen die Teilnahme von US-Vizepräsident Al Gore und des britischen Premierministers John Major, weil deren Länder die Westverschiebung Polens und die sowjetische Dominanz über das Land zugelassen hätten. Vertreter der bürgerlichen Partisanenverbände dagegen protestierten gegen die Teilnahme kommunistischer Veteranen. Die meisten Auseinandersetzungen spielen sich allerdings nur in der älteren Generation ab, bei der nach allen Umfragen auch ein apologetisches Verhältnis zu den Ereignissen vor fünfzig Jahren überwiegt. Bis zu 52 Prozent der Befragten halten den Aufstand zwar für einen „Ausdruck höchsten Heldentums und Patriotismus“ und eine damalige Notwendigkeit, doch die Hälfte der Befragten ist inzwischen der Meinung, es habe sich damals um eine Demonstration des polnischen Freiheitswillens an die Adresse der Sowjets gehandelt. Entsprechend ist auch die Zahl derjenigen größer, die Walesas Einladung an Jelzin für falsch halten. Mit Herzogs Besuch können sich mehr PolInnen anfreunden.
Auch in der Argumentation der rechten Verweigerer überwiegen zumeist antikommunistische Elemente. Die größte Tragödie bestehe darin, daß die Leute, die die Feiern organisierten, eine kommunistische Vergangenheit hätten, erklärte ein Vertreter der boykottierenden Rechtsparteien. Man solle den Jahrestag als nationalen Gedenktag und nicht mit solchem Aufwand und Pomp feiern. Die offiziellen Feiern mit einem Licht- und-Ton-Spektakel der früheren Kulturministerin Cywinska hatten im Vorfeld bereits Kombattantengruppen selbst kritisiert. Andrzej Zakrzewski, Walesas für die Feiern zuständiger Staatssekretär, verteidigt diese gegen alle Angriffe: Einige Politiker wollten sich in historische Kostüme werfen und daraus politisches Kapital schlagen. Klaus Bachmann
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