■ Geschäfte mit Lebensversicherungen von Aidskranken: Die beste aller Welten
Die böse Fratze des Kapitalismus – hier scheint sie sich aller Hüllen zu entledigen. Versicherungen und private Anleger betreiben Geschäfte mit dem Tod. Worauf sie spekulieren, ist das möglichst frühe Sterben von Aidskranken, deren Lebensversicherungen sie aufgekauft haben. Die USA, Musterland des Kapitalismus, machen es vor. Seit 1988 können sich dort die geneigten Investoren den passenden Todeskandidaten aussuchen: Lebenserwartung 20 Monate, Anzahl der T-Helferzellen stark vermindert – Versicherungssumme 40.000 Dollar. Letztere bekommt der Investor, der dem Aidskranken sagen wir 75 Prozent der Summe vorab gezahlt hat, sobald der Erkrankte stirbt. Gewinn: 10.000 Dollar abzüglich der in der Zwischenzeit eingezahlten Prämien.
Sind das nicht die makabersten Auswüchse des Spekulantentums, verwerflich und unmoralisch? Makaber sicher. Den Investor muß es freuen, wenn der Aidstod früh eintritt, denn um so schneller kommt er an sein Geld. Aber verwerflich wären die Geschäfte nur, wenn der Aidskranke dadurch geschädigt würde. Man könnte einwenden, daß die Investoren die Notlage des Erkrankten ausnutzen. In einer Notlage befinden sich viele Aidskranke in der Tat, woran aber weder Anleger noch Versicherungen schuld sind. Viele Kranke verlieren ihren Job, mit Pflegegeld geizen die Behörden, als müßten die Mitarbeiter es aus ihrer Privatschatulle hinblättern. Der Staat versagt im Umgang mit Aids und seinen Opfern.
Sehr viel mehr Flexibilität zeigt da das marktwirtschaftliche System; es muß sich nicht mal hinter dem Wörtchen „sozial“ verstecken. Wo der Sozialstaat keine ausreichende Hilfe bietet, wo die konservative Regierung ohne Scham Politik nach der Devise „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner“ betreibt, da findet der clevere Investor seine Marktlücke.
Ein Aidskranker oder ein noch nicht erkrankter HIV-Positiver bekommt so zwar seine Lebensversicherung nicht in voller Höhe ausbezahlt. Aber er erhält das Geld, solange er noch etwas davon hat. Nun kann er sich endlich die Medikamente leisten, die sein Leben womöglich verlängern oder zumindest leichter machen. Er kann sich Wünsche erfüllen, die über das von der Sozialhilfe vorgeschriebene Wunschniveau hinausgehen; vielleicht gönnt er sich noch den Erholungsurlaub, dessen er so dringend bedarf. Jemand anderes macht dadurch Gewinne. Na und? Sollen die Aidskranken aus moralischen Gründen darauf warten, daß ihnen jemand aus purer Nächstenliebe Geld gibt? Finanzkräftige Philanthropen in ausreichender Anzahl sind nicht gerade im Angebot. Bedauerlich, aber wenigstens bietet der Kapitalismus eine Alternative. Schon Voltaire wußte: Wir leben eben doch in der besten aller Welten. Nicola Liebert
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