: „Soziale Sicherheit in Gefahr“
■ Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktexperte des DGB, droht mit Verfassungsklage gegen private Arbeitsvermittler
Seit gestern dürfen in der Bundesrepublik private Arbeitsvermittler ihre Dienste anbieten. Die Bundesregierung hat das Vermittlungsmonopol des Arbeitsamtes durch eine Änderung des Beschäftigungsförderungsgesetzes aufgehoben und dafür sogar völkerrechtliche Übereinkommen gekündigt. Doch die Landesarbeitsämter haben die notwendigen Vermittlungslizenzen noch nicht ausgegeben. Und wenn es nach dem DGB geht, werden sie ihre Jobs nie antreten.
taz: Fällt es Ihnen nicht ein bißchen spät ein, gegen die private Arbeitsvermittlung vorzugehen? Das entsprechende Gesetz wurde vom Bundestag bereits im April verabschiedet.
Wilhelm Adamy: Bis vor kurzem war noch alles offen, da der Bundesrat das Gesetz blockiert hatte und die Bundesregierung neue Verfahren in Gang setzen mußte. Außerdem hatte die Bundesregierung zunächst angekündigt, nur Modellversuche zu starten, weil sie selber Risiken gesehen hat. Das hat sie dann kurzfristig über Bord geworfen.
Wo im Grundgesetz wollen Sie einhaken?
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, daß ein öffentliches Alleinvermittlungsrecht ein wichtiges Gemeinschaftsgut ist. Durch die Zulassung gewinnorientierter Arbeitsvermittler wird unseres Erachtens dieser Schutz auf das schwerste bedroht, weil hier die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer sowie die Ordnung und Gestaltbarkeit des Arbeitsmarktes beeinträchtigt wird.
Inwiefern?
Für die private Arbeitsvermittlung gelten so gut wie keine sozialstaatlichen Kriterien: Weder was die Vertraulichkeit von Daten angeht noch die Zugangsbeschränkungen für die Berufsausübung, noch die Trennung von Verleih und Vermittlung. Das führt zu einem unfairen Wettbewerb zwischen den öffentlichen Arbeitsämtern und den privaten Vermittlern.
Das ließe sich doch durch gesetzliche Auflagen regeln.
Richtig. Es gelten nicht genügend sozialstaatliche Auflagen für diese Unternehmen. Die Arbeitsvermittlung ist ein hochsensibler Bereich. Denn durch die Vermittlung wird auch entschieden, ob gesetzliche und tarifliche Bedingungen eingehalten werden. Außerdem geht es um die Frage, ob die Tarifautonomie ausgehöhlt wird. Wir sehen die Gefahr, daß die Grundsätze der Neutralität bei Arbeitskämpfen nicht eingehalten wird. Daß private Arbeitsvermittler im Zweifel auch Streikbrecher und in tarifwidrige Arbeitsverhältnisse vermitteln können.
Hat der DGB die Bundesregierung mit diesen Bedenken konfrontiert, bevor das Gesetz in Kraft getreten ist?
Wir haben das mit der Regierung diskutiert, aber es handelt sich hierbei um einen ideologischen Bereich, wo Sachargumente wenig zählen. Hier sollen einigen Wenigen Gewinnchancen eröffnet werden. Hier wird eine symbolische Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrieben, und man wollte das noch schnell vor den Wahlen durchziehen. Da hat die FDP den Bundesarbeitsminister über den Tisch gezogen. Interview: Bascha Mika
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