: Tschetschenien: Regierung dementiert Umsturz
■ Oppositionsgruppe verkündet Machtübernahme / In Moskau wird die Öffentlichkeit auf eine Intervention in der Kaukasus-Republik vorbereitet
Moskau (taz) – Ein Krieg der Worte und Erklärungen bereitete gestern die russische Öffentlichkeit auf eine Intervention Moskaus im zur Russischen Föderation gehörenden Zwergstaat Tschetschenien vor. Ob offen militärisch – wie am gleichen Tage glühend von der Armeezeitung Krasnaja Swesda befürwortet – oder vermittels der tschetschenischen Oppositionsgruppen: die russische Regierung ist entschlossen, das Blatt dort zu wenden.
In ihrem Amtsblatt Rossiskaja Gaseta verkündete sie in ultimativer Form das Ende ihrer Geduld mit dem separatistischen tschetschenischen Diktator Dschochar Dudajew: „Falls gegen die in der tschetschenischen Republik lebenden Bürger der Russischen Föderation – ganz gleich ob gegen Tschetschenen, Russen oder Inguschen – auch weiterhin Gewalt angewandt wird, sieht sie (die russische Regierung, d.Red.) sich gezwungen, die Rußländer in Übereinstimmung mit der Konstitution und den Gesetzen der Russischen Föderation zu schützen.“
Gleichzeitig verkündete der „Provisorische Rat“, eine der Gruppen der tschetschenischen Opposition: „Die antidemokratische, kriminell-militaristische Diktatur Dschochar Dudajews ist gestürzt.“ In der Erklärung wird die Stabilisierung der Situation im Lande bis zur Durchführung von freien Wahlen nach Ablauf eines Jahres versprochen. Der Provisorische Rat residiert innerhalb einer unzugänglichen Bergprovinz des Landes, geleitet vom dortigen Bürgermeister Umar Arturchanow. Die Machtübernahme wurde in Moskau bekanntgegeben, wo Awturchanow sich das Wochenende über aufgehalten hatte.
Bis zum Redaktionsschluß gab es keinerlei Anzeichen für eine Änderung der Situation in der tschetschenischen Hauptstadt Grosnyj. Ein Sekretär in Dudajews Büro antwortete gestern auf telefonische Anfragen, daß dort alles ruhig sei: „Dieser Rat hat für uns nichts zu bedeuten“, sagte er.
Dennoch hat sich seit 1991 noch nie die Schlinge so eng um den schnurrbärtigen Kopf des tschetschenischen Dudajew zusammengezogen wie in diesen Tagen. Das Faß zum Überlaufen brachte in Moskaus Augen offenbar eine von tschetschenischem Territorium aus gesteuerte Geiselnahme auf dem Flughafen der Stadt Wladikawkas, bei der letzte Woche sechs Menschen ums Leben kamen. Das Geiseldrama spitzte sich zu, weil Dudajew einige Tage vorher erklärt hatte, alle aus Rußland kommenden unangemeldeten Flugzeuge würden künftig über Tschetschenien abgeschossen. Tschetschenien ist die Heimat vieler mafioser Clans, die in der Russischen Föderation operieren. Barbara Kerneck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen