: Der Aufschwung Ost hat keine industrielle Basis
■ Forscher verzeichnen nach Investitionen von 450 Milliarden Mark ein deutliches Wirtschaftswachstum / Von der Industrie ist jedoch nur wenig übriggeblieben
Berlin (taz/dpa) – Der Osten holt auf. In den neuen Bundesländern haben Industriebetriebe ihre Produktion im ersten Halbjahr dieses Jahres um 15 Prozent gesteigert. Die Baubranche verzeichnete den größten Boom. Ihre Produktion legte um 20 Prozent zu. Das stellen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Institut für Weltwirtschaft in Kiel und das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) in einem gemeinsamen Bericht fest.
Allerdings fehlt dem Aufschwung die industrielle Basis. So ist in dem vormals industriell geprägten Sachsen der Industriebesatz inzwischen nur noch so hoch wie im ländlich geprägten Schleswig-Holstein.
Die Institute verweisen darauf, daß in den zurückliegenden vier Jahren Unternehmen und Staat 450 Milliarden Mark in Ausrüstungen und Bauten investiert haben. Industriebetrieben gelingt es inzwischen, auf überregionalen Märkten Fuß zu fassen, auch wenn die neuen Bundesländer nach wie vor Hauptabsatzgebiete für die Ostunternehmen sind. Die treibende Kraft des Wachstumsschubs sind aber immer noch Investitionen zur Modernisierung des Wohnungsbestandes und zum Wohnungsneubau.
Der Dienstleistungssektor ist stärker als im Westen von der Konsumorientierung geprägt. Bei produktionsorientierten Leistungen gibt es weiterhin Defizite; westdeutsche Anbieter haben dabei auch im Osten die Nase vorn. Das liegt in erster Linie am fehlenden Angebot in den neuen Ländern, aber auch daran, daß viele Industriebetriebe in westdeutsche Muttergesellschaften oder andere Teile ihres Unternehmens eingebunden sind. Erschreckend schwach ist auch die Position ostdeutscher Dienstleister in Forschung und Entwicklung.
Viele Dienstleistungsunternehmen in den neuen Ländern haben denn auch nach Auffassung der Wirtschaftsforscher die Durststrecke noch nicht bewältigt. So ist ihre Umsatzproduktivität im Durchschnitt niedrig und im Vergleich dazu sind Löhne und Mieten zu hoch. Insbesondere kleinere Unternehmen mit geringerem Eigenkapital sind deshalb von Auszehrung bedroht.
Die Städte und Gemeinden profitieren sehr unterschiedlich von Dienstleistern. Neuansiedlungen finden wie im Westen überwiegend auf der grünen Wiese statt. In den Städten haben bestenfalls dienstleistungsintensive und konsumnahe Industrien und Handwerke ihren Platz gefunden. Der geringe Wohn- und Freizeitwert vieler Orte bildet nach Meinung der Forscher ein zusätzliches Ansiedlungshindernis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen