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Debatte um Newton-Fotos

■ Betr.: „Grace Jones in Ketten“, taz vom 27.7.94

[...] Wer einmal in einer Ausstellung die Anordnung der übergroßen Akte mit nackten (arischen) Frauen – überhöht aufgehängt –, bei der Gianna Nannini als Nichtariererin aus dem Rahmen fällt, gesehen hat, kann nicht anders, als an Faschismus zu denken. Wenn dies Newtons Absicht war, warum stellt er sich dann nicht der Kritik von Alice Schwarzer?

Und was heißt, daß Newton seine Anregungen aus der Wirklichkeit bezieht? Ist sein Foto, auf dem ein angezogener Mann eine nackte Frau am Strick führt, Wirklichkeit oder ein Symbol für die Rolle der Männer als Unterdrücker der Frauen? Newton als kritischer Zeitgeist? Wenn dem so wäre, wäre er von Emmas Kritik sehr angetan.

Im übrigen finde ich die Argumentation von Sonja Schock unerträglich! Als Beweis gegen nationalsozialistische Absichten Newtons führt sie den „Charme eines Buchhalters“ und den „dümmlichen Gesichtsausdruck“ des Mannes an, der die Nackte und Junge und Schöne am Strick führt. Die Nazis waren demnach intelligent und haben ihre KZs nicht buchhalterisch geführt? Oder Buchhalter sind blöd und unerotisch? Und: SM gilt nur für (schöne) Frauen, nicht für Männer? Welch ein Abgrund von Vorurteilen! Regina Albrecht, Gelsenkirchen

Da gibt sich nun die Autorin alle Mühe, die Bilder Newtons findig zu interpretieren, damit es auch ja alle begreifen: Die Bilder sind wirklich Kunst und können allein schon deshalb nicht faschistoid oder sexistisch sein, und es steckt doch überhaupt so viel Symbolik drin!

Fragt sich bloß, warum nun die ganze Mühe. Denn der von Emma erhobene Vorwurf, die Bilder seien rassistisch, faschistoid, sexistisch, stört doch offenbar weder den Fotografen Newton noch den Verlag. Im Gegenteil: Den Sexismusvorwurf dürfte Newton, wie viele andere Künstler auch, eher noch als Kompliment und gute Reklame auffassen. Er selbst streitet gar nicht ab, sexistische Bilder zu machen. Gunhild Gutschmidt, Marburg

[...] War der Nationalsozialismus eine undemokratische Variante des Sadomasochismus, oder sind SadomasochistInnen demokratische NationalsozialistInnen? Auf diese Frage reduziert sich Sonja Schocks Artikel. Er bestätigt so, was Alice Schwarzer behauptet, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen dem mörderischen Rassismus der Nazis und der zynischen Frauenfeindlichkeit vieler Männer und offensichtlich auch etlicher Frauen. [...] Gisela Medzeg,

Ludwigshafen/Rhein

[...] Mich ärgert immer wieder die Devise (die auch zu diesem Artikel vertreten wird): „Was mir so an Phantasie in den Kopf kommt, darf ich auch abdrucken und verbreiten. Es ist doch sowieso schon vorhanden, wieso soll ich es nicht ausleben?“ Der Haken dabei ist, daß durch diese Bilder Phantasien doch auch erst entstehen beziehungsweise weitergegeben werden. Daß Bilder und Worte unser Denken und Fühlen verändern und letztlich auch unsere Taten. [...]

Newtons Bilder sind einfach ziemlich platt und implizieren ganz klar ein bestimmtes Frauenbild. [...] Präsentiert wird alles in netter, kultivierter Athmosphäre, und deswegen soll es Kunst sein. Wenn die gleichen Bilder statt in den Deichtorhallen auf der Reeperbahn hängen würden, ob Ihr dann auch noch Partei für den „Künstler“ ergreifen würdet? [...] Heike Dierbach, Hamburg

„,Helmut Newton – sein Faschismus‘ irritiert, versucht aus einer historischen Staats- und Herrschaftsform ein individuell anzueignendes Phänomen zu machen.“ (so Sonja Schock) Das allerdings ist einzig Sonja Schocks Problem, da spätestens seit Adornos „Der autoritäre Charakter“ intellektuell belesenen Menschen klar sein dürfte, daß objektive Staatsformen ihre Grundlagen und Anfänge im zu „erziehenden“ Individuum haben. Ein Staat ist die Ansammlung seiner in ihm lebenden Subjekte, und die sind keineswegs phänomenal, wie der Faschismus der Nationalsozialisten kein Phänomen war, sondern eine historisch gewachsene und vom Großbürgertum ideologisch gewollte wie von der Großindustrie benötigte Staatsform. Jede Staatsform hat ihre Erziehungs- und Kulturministerien mit Richtlinien und Verordnungen, die durch entsprechende Institutionen vermittelt von den Individuen verinnerlicht, sich eben in Staatsformen reproduzieren. Diese verinnerlichten Staatsformen treten als persönliches Verhalten ins private Leben, und darum ist das Private politisch, eben auch die Sexualität.

[...] Sonja Schock hat politische Dimension der SM-Bewegung nicht begriffen, wenn sie da meint: „...beim SM dagegen beruht das Verhältnis auf Freiwilligkeit und demokratischen Regeln.“ Meine Güte, nirgendwo ist eine geglücktere Form von Dressur deutlicher und die Verinnerlichung der herrschenden Gewaltverhältnisse gelungener als in der SM-Bewegung. [...] Dana Kirke, Berlin

Insbesondere seit Alice Schwarzer bei ihrer Tierrechtskampagne ausgerechnet den Euthanasiebefürworter Peter Singer zu ihrem „Freund“ („Freund Singer“) erklärte, haben Alice Schwarzer und Emma ein Stück Glaubwürdigkeit verloren. Man/frau muß aber kein/e Freund/in von Alice Schwarzer sein, um zu sehen wie polemisch Sonja Schock und Thomas Pampuch den Prozeß Newton-Schwarzer kommentieren. Während Sonja Schock noch den Anschein erweckt – abgesehen vom Vorwurf, bei Emma gebe es nur zwei „Optionen: Blümchensex oder Opferdasein“ – zu argumentieren und sich mit der Darstellung von Frauen (Sex und Macht) in Newtons Fotos auseinandersetzt, legt Thomas Pampuch seine ganze Häme in seinen Artikel.

Arbeitsteilung à la taz: Sonja Schock befreit Newton vom Vorwurf, Faschistoides darzustellen, Thomas Pampuch setzt im Tenor des Artikels noch eines drauf und versucht, Alice Schwarzers Unterfangen jede Ernsthaftigkeit abzusprechen, nach dem Motto: Wenn eine Frau schon nichts gegen Newtons Fotos auszusetzen hat, dann kann die andere Frau nicht recht haben. Dem/der Leser/in bleibt die taz eine ernsthafte Auseinandersetzung so schuldig.

Auch wenn Künstler/innen Freiräume brauchen, so ist das noch lange kein Grund dafür, Fotos und Bilder, die das Verhältnis von Frauen und Männern darstellen ausschließlich auf die Ebene einer Ästhetik-Diskussion zu hiefen oder zu einer Frage eines vermeintlich naiven Sexualitätsverständnisses zu machen. Das Ausblenden des politischen Kontextes setzt so Newtons Kokettieren mit faschistischer oder faschistoider Symbolik einer scheinbaren Beliebigkeit des Geschmacks aus. Joachim Seitz, Kaiserslautern

Was sich da auf Seite 4 und 5 so wunderbar komplementär ausbreitet – die Bilderkritik des Kotte an der kastrierenden Mutter Höhler (sie besiegt ihn im Schach, oh Graus) und die Bildereloge der Sonja Schock zum Newtonschen Foto-Sadomasochismus – verführt, nein, schreit nach spielerischem Tun.

Was Sonja Schock so bemüht in fünf Spalten zu dozieren versucht, daß doch das Bild etwas anderes sei als die Realität und daß die dumme Emma das noch immer nicht verstanden habe, davon hätte der liebe Kotte ein kleines bißchen wissen sollen. Wir vermissen die Erkenntnis, daß der „explizit spielerische Charakter“ des Mutter- Sohn-Bildes auf den „reinen Symbolwert“ eines „inzestuösen Verhältnisses“ abzielt und darüber hinaus von distanzierender „Ironie“ geprägt ist. Dieses Bild „für bare Münze, als Ausdruck der ,Erniedrigung‘“ des „veräppelten“ Sohnes zu nehmen, zeugt von einem „alten Mißverständnis: ...dem simplen Eins-zu-eins-Verhältnis von Wirklichkeit und Abbildung“. Ja, was denn nun? Der unterdrückte, weil von der Mutter im Schach (Brett falsch aufgestellt! ironisches „Accessoire“!) besiegte Sohn – bittere Realität? Die gefesselten Frauen, immerhin „angeregt aus der Wirklichkeit“ – reine Lektüre „sexuellen Begehrens“? Die männliche „Schmerzgrenze“ an den „Inszenierungen der ,dunklen Seiten‘ der Sexualität“ nimmt sich bemerkenswert bescheiden aus. Die Freiwilligkeitsthese der Autorin, verbürgt durch ein Zitat aus Newtonscher Feder, ebenfalls. Fazit: „Zwei Optionen“ – beide „Blümchen“. Gabriele Kämper, Berlin

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