Käpt'n auf schlingerndem Schiff

■ Nach dem schwachen 2:2 bei Hannover 96 will der HSV gegen den FC Liverpool zeigen, wo er vor Saisonbeginn wirklich steht

„Freie Tage scheinen der Mannschaft nicht zu bekommen“, polterte Benno Möhlmann sichtlich genervt nach dem 2:2 im Testspiel bei Hannover 96. Der HSV-Trainer bemängelte fehlendes Engagement und schwaches Zweikampfverhalten. Nachdem die Hamburger als einzige deutsche Mannschaft mit überzeugenden Leistungen Gruppensieger im IF-Cup geworden waren, schien Möhlmanns einziges Problem die Integration der beiden bulgarischen Nationalspieler Yordan Letchkov und Petr Houbtchev nach deren verlängertem WM-Urlaub zu sein.

Seine Schützlinge machten ihm nun einen Strich durch die Rechnung und holten mit viel Gück aber wenig fußballerischen Qualitäten noch einen 0:2-Halbzeitrückstand gegen den Zweitligisten auf. Die Hannoveraner waren durch Gütschow und Kobylanski in Führung gegangen, bevor Andreas Sassen der Anschlußtreffer gelang. Jörn Andersen konnte nach einem Mißverständnis in der 96-Abwehr fünf Minuten vor Schluß zum Ausgleich abstauben. Schon während der Halbzeitpause hatte der HSV-Coach seinen Unmut unter Beweis gestellt, indem er gleich sieben Spieler auswechselte, unter ihnen auch die beiden Bulgaren.

Gestern machte Möhlmann Nägel mit Köpfen: Benno befand, daß ein ins Schlingern geratenes Schiff einen Kapitän benötige und setzte die Wahl des Mannschaftsführers an. Nachfolger des zu Arminia Bielefeld gewechselten Thomas von Heesen ist nun Wadenbeißer Jürgen Hartmann. Der 31jährige wurde mit neun von einundzwanzig Stimmen vor dem – von der Mannschaft noch kürzlich scherzhaft wegen seines WM-Tores ausgepfiffenen – Letchkov gewählt.

Soviel Mitspracherecht wird dem HSV-Kader bei der Mannschaftsaufstellung zum nächsten Vorbereitungsspiel gegen den FC Liverpool (heute 20 Uhr im Volksparkstadion) sicher nicht eingeräumt. In der Begegnung mit dem englischen Rekordmeister will Möhlmann überprüfen, ob die vorherige Spielleistung auf mangelnder Motivation beruht oder nach Trainingslager und zahlreichen Testspielen die Kräfte fehlen – vielleicht auch beides.

Als ernsthafte Simulation für ein Punktspiel kann hingegen auch das Match gegen den englischen Traditionsverein nicht angesehen werden, der sich gerade von einem Skandal zum nächsten kriselt. Erst wurde Leistungsträger Don Hutchison die Tür gewiesen, weil er sich im Urlaub sturzbetrunken und arg unbekleidet ablichten ließ. Dann ließ Trainer und Manager Roy Evans nach der 1:4-Niederlage gegen einen Zweitligisten zwei weitere FC-Akteure vereinsintern sperren. Obwohl der neue Klinsmann-Arbeitgeber Tottenham Hotspurs attraktiver gewesen wäre und N3 das Duell live überträgt, rechnet der HSV mit regem Zulauf: Alle Dauerkartenbesitzer haben freien Eintritt und vor dem Spiel findet ab 16 Uhr die Saison-Eröffnungsfeier statt. Jan Strahl