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Debatte um Newton-Fotos

■ betr.: „Grace Jones in Ketten“, taz vom 27.7.94

Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu Sonja Schocks Artikel, um kurz darzulegen, warum wir uns als Verlag zu den Vorwürfen von Frau Schwarzer gegen unseren Autor Helmut Newton inhaltlich nicht geäußert haben und das auch nicht tun werden.

Wie Sonja Schock richtig bemerkt, liegt Frau Schwarzers methodischer Fehler bei der Betrachtung der Helmut-Newton-Bilder in der 1:1-Setzung von Wirklichkeit und Abbildung, in der, wie Frau Schock es formuliert, „Verwechslung von symbolischer und realer Ebene“. Ob es sich aber hier um eine zufällige „Verwechslung“ handelt, darf bezweifelt werden.

Ebenso könnte eine Verkümmerung des visuellen Wahrnehmungsvermögens, dem es nicht gegeben ist, diesen Unterschied zwischen realer Welt und fiktivem Bild zu erkennen, bei Frau Schwarzer in Betracht gezogen werden. Dann wäre allerdings eine Diskussion mit ihr über Bilder und visuelle Kunst so unsinnig wie das Gespräch mit einem Blinden über die Phänomene von Farbe und Durchsichtigkeit.

Wahrscheinlicher als ein solcher Wahrnehmungsmangel ist aber die Vermutung, daß Frau Schwarzer die Unterscheidung der beschriebenen Ebenen zum Zwecke agitatorischer Effizienz einfach verleugnet. Ein solches Verhalten ist häufig bei Politikern anzutreffen, wenn sie die angeblich so entartete Gegenwartskunst benutzen, um kräftig populistische Stimmung bei ihrer kleinbürgerlichen Klientel zu machen. In einem solchen Fall erübrigt sich eine Diskussion mit Frau Schwarzer mangels intellektueller Redlichkeit.

Das Schweigen von Helmut Newton allerdings basiert nicht auf diesen Überlegungen, sondern begründet sich sehr viel einfacher: Hitlers Rassenwahn als angeblicher Untermensch knapp entkommen, sieht er nicht die geringste Veranlassung, sich heute in Deutschland vor Frau Schwarzer und ihrem genital-biologischen Menschenbild als angeblicher Herrenmensch zu rechtfertigen. Lothar Schirmer, Verleger

Erst mal ein Kompliment dafür, daß es der Redaktion gelang, sich zum Abdruck des Artikels von Sonja Schock durchzuringen. Verstößt Sonja Schock doch eigentlich gegen die „tazmäßige Gesinnung“. Wie bringt man GesinnungsabweichlerInnen in Mißkredit? Nicht indem man ihren Argumenten begegnet, sondern indem man sie mit wissenschaftlichem Vokabular pathologisiert.

Die Leserin Jaenisch bezichtigt Sonja Schock der „Pseudoreflektiertheit“. Eine Diagnose die schwer wiegt, stammt sie doch aus der Feder einer Diplom-Psychologin. Die „Pseudoreflektiertheit“ ist die Lebenslüge der Neurotikerin. Als angehender Diplom-Soziologe möchte ich ein Gegengutachten erstellen und Frau Schock von jeglichem pseudoreflektivem Neurosenverdacht befreien. Meines Erachtens hat Frau Schock explizit gemacht, worum es ihr geht: 1. darum, daß der wahllose Gebrauch mit Attributen wie „faschistoid, rassistisch, sexistisch und Herrenmensch“ noch keine Analyse ist, und 2. daß man nur dann zu einer fruchtbaren Analyse gelangt, wenn man zwischen realer und symbolischer Ebene, also zwischen Form und Inhalt unterscheiden kann.

Der Vorwurf der Leserin an Frau Schock zeigt, daß die Leserin diese oben genannten Punkte nicht erkannt hat. Wenn die Leserin die streitbaren Fotos einfach so als demütigend klassifiziert, dann kann sie das tun, weil sie diese Fotos als demütigend empfindet. Da kann wiederum Sonja Schock nichts dafür. Eine persönliche Empfindung ist etwas anderes, als ein Artikel der auf expliziter Argumentation beruht. Ande Hörmann,

Frankfurt am Main

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