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Artikel eins gegen den Innensenator

■ Bremer Landgericht: Abschiebeknast Ostertorwache für Langzeithäftlinge menschenunwürdig

Eine Ohrfeige für den Innensenator: Die Zustände in einigen Zellen des Abschiebeknastes in der Ostertorwache verstoßen gegen die Menschenwürde, das hat das Bremer Landgericht gestern in einem Urteil festgestellt. Die katastrophalen Zustände in einigen Zellen, so die Entscheidung, verstoßen mindestens bei Langzeithäflingen gegen den elementarsten Artikel des Grundgesetzes. Zwei Häftlinge, die schon seit sieben und neun Monate im Ostertor einsitzen, mußten nach dem Richterspruch sofort in andere Zellen verlegt werden. Das Gericht behielt sich vor, die Haftbedingungen auch bei anderen Häftlingen zu überprüfen, wenn sie Beschwerde einlegen sollten.

Über Jahre dauert mittlerweile die öffentliche Debatte um die unhaltbaren Zustände im Abschiebeknast im Keller der Ostertorwache. Innensenator Friedrich van Nispen selbst hatte eingeräumt, daß das Abschiebegefängnis dringend umziehen müsse – doch geändert hat sich nichts. Die Polizei würde so schnell wie möglich von der Innenstadt in die Kaserne Vahr umziehen, war die stetige Antwort des Innenressorts. Doch ein Termin dafür ist immer noch nicht absehbar.

Nun hat das Landgericht von sich aus gehandelt, als die Richter die Haftverlängerung für zwei seit sieben und neun Monaten einsitzende Afrikaner prüfen sollte. Langzeitinhaftierte sind sonst selten, die Abschiebezeit bemißt sich meist nach wenigen Wochen. Beide Afrikaner hätten aber immer wieder wechselnde Angaben über ihr Heimatland gemacht, um die Abschiebung hinauszuzögern, erklärte der Kammervorsitzende, Richter Berndt-Adolf Crome. Über einen kürzeren Zeitraum sei den Häftlingen auch der Ostertorknast zuzumuten, aber nicht über eine längere Zeitspanne. Crome weiß, wovon er redet. Schließlich hat sich die Kammer den Knast vor Ort angesehen und sogar eigenhändig vermessen: Die Zellen 18 und 20 sind für die beiden Häftlinge nun komplett passe, heißt es im Urteil.

Beispiel Zelle 20: Ein Schlauch mit den Ausmaßen 2,70 mal 7 Meter, 2,90 Meter hoch, fünf Feldbetten, spärliches Mobiliar, Waschbecken und Klo in der Zelle. Dabei ist das Klo in einer Zellenecke nur durch eine etwa brusthohe Blechwand vom Rest der Zelle abgetrennt, kein Luftschacht, kein Abzug hindert die Toilettendüfte an ihrer Ausbreitung. In dieser Zelle leben, schlafen, essen fünf Häftlinge, und zwar mehr als 23 Stunden am Tag, denn bis auf eine dreiviertel Stunde Ausgang sehen die Häftlinge die Sonne nicht. Schon gar nicht durch ein Fenster. Das Licht fällt durch 16 Glasbausteine, von denen zwei mal vier Bausteine als Kippfenster geöffnet werden können. Zelle 18 ist damit identisch.

Das Urteil: „Nach Auffassung der Kammer verstößt die gemeinschaftliche Unterbringung in diesen beiden Zellen zumindest bei längerem Vollzug gegen das Recht des Betroffenen auf Achtung seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz.“ Wie lange ein „längerer Vollzug“ ist, das bleibt offen. Einer der zur Zeit einsitzenden Häftlinge ist dort schon seit April. An dem Fall könnte sich entscheiden, wo die kritische Grenze liegt.

Zwei Zellen sind den Langzeithäftlingen gar nicht zuzumuten, für drei weitere Zellen hat das Gericht bauliche Veränderungen verlangt, zum Beispiel bei der Lüftung, bei insgesamt vier Zellen soll die Belegung reduziert werden. Richtgröße: mindestens 4,7 Quadratmeter pro Person. Dabei werden im Urteil noch die Entscheidungen anderer Gerichte zitiert, die „mindestens sechs bis sieben Quadratmeter“ verlangen.

„Wir haben ein Zeichen gesetzt“, sagte Richter Crome. Allerdings eines, das beim zuständigen Innenressort nicht gerade hektische Betriebsamkeit ausgelöst hat. „Wir sehen das ganz gelassen“, sagte eine Ressortsprecherin. Jetzt wolle der Innensenator erstmal das Urteil studieren. Beschwerde will das Innenressort nicht einlegen. „Aber eine befriedigende Lösung wird es erst nach denm Umzug geben.“

Jochen Grabler

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