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Die Straße der snobistischen Kotzbrocken Von Ralf Sotscheck

Unsere Nachbarin Elizabeth Quinn befand sich im Zustand höchster Erregung: „Stell dir vor“, befahl sie, „die Sozialbausiedlung nebenan will sich Claremont Gardens nennen. Man wird sie dann unweigerlich mit unserer Siedlung verwechseln.“ Unsere Siedlung heißt Claremont Court. Sie war dem Untergang geweiht, wollte man der Nachbarin glauben: Der Wert der Häuser werde über Nacht in den Keller sinken, und die Bewohner wären für immer gebrandmarkt, falls sie nicht sogar im Obdachlosenheim landeten. Das Schicksal der Kinder sei ebenfalls besiegelt, orakelte sie: Arbeitgeber würden bei dieser zwielichtigen Wohnadresse sofort abwinken, und die Kinder würden in den Sog des Verbrechens geraten. Um all das zu verhindern, hatte Elizabeth Quinn eine Unterschriftenliste vorbereitet, mit der sie bei vielen Nachbarn offene Türen einrannte. Die Sozialbausiedlung wurde schließlich „Clareview“ getauft, was der Nachbarin schlimm genug erschien.

Von ihrem Teilerfolg ermutigt, startete sie gleich eine neue Kampagne: Diesmal ging es um die Postleitzahl, die ihr nicht paßte: Dublin 11 besteht hauptsächlich aus dem Arbeiterviertel Finglas, zu dem zwar eine räumliche, jedoch keinesfalls eine soziale Nähe bestand, wie die Nachbarin feststellte. So versuchte sie, die Siedlung postalisch dem vornehmeren Bezirk Glasnevin mit der Postleitzahl 9 zuordnen zu lassen. Leider lag Clareview jedoch deutlich näher an Glasnevin und hätte deshalb von der Postleitzahlenumbenennung nicht ausgeschlossen werden können. Die Post bereitete Quinns Bemühungen ein jähes Ende: Sie lehnte es rundweg ab, bei der Vergabe von Postleitzahlen soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Freilich gaben sich Frau Quinn und zahlreiche NachbarInnen damit nicht zufrieden: Sie geben ihre Adresse im Bekanntenkreis und bei Behörden einfach mit „Dublin 9“ an und hoffen, daß die Post beide Augen zudrückt.

Elizabeth Quinns gibt es überall. Dabei kann sie froh sein, daß sie nicht im südenglischen Bath wohnt. Dort wurde vor kurzem eine Wohnsiedlung mit dem wohlklingenden Namen Wellow Brook Meadow fertiggestellt. Bei Hauspreisen um hunderttausend Pfund strömten die Yuppies in die Maklerbüros, und im Handumdrehen waren die Häuser verkauft. Niemand hatte jedoch mit dem Bezirksrat von Bath gerechnet, der beschloß, die sozialen Trennungslinien zu entschärfen. Ausgerechnet bei den Straßennamen wollte man ein Zeichen setzen: Wellow Brook Meadow wurde kurzerhand in „Reg Jones Close“ umgetauft – nach einem ehemaligen Bergarbeiter, der zwei Jahre zuvor gestorben war. Eine Querstraße soll jetzt nach Ann Wilkinson benannt werden, einer „Lollypop Lady“, wie in England greise Schülerlotsinnen bezeichnet werden. Terry Reakes, der Bezirksratvorsitzende, sagte: „Ich habe die Schnauze voll davon, daß die Straßen immer nur nach reichen und berühmten Leuten benannt werden.“ Die BewohnerInnen der betreffenden Straßen sehen das völlig anders. „Ich dachte, es sei ein Witz, als der neue Name bekanntgegeben wurde“, sagte eine Büroangestellte. „Reg Jones Close klingt einfach lächerlich, dahin kann man doch keine Arbeitskollegen einladen.“ Wie wär's mit „Straße der snobistischen Kotzbrocken“?

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