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Nur im Westen fühlt sie sich als Exot

In Eberswalde regiert mit Uta Leichsenring eine Frau als Polizeipräsidentin / Erste Bewährungsprobe für die Bürgerbewegte: Ihr unterstellte Polizisten sollen in Bernau Vietnamesen mißhandelt haben  ■ Von Vera Gaserow

Mit 140 Sachen rast der dunkle Audi durch die Brandenburger Allee – angesichts der Straßenverhältnisse schneller, als die Polizei erlaubt. Aber „die Polizei“ sitzt hinten im Fond, kämpft mit leichter Übelkeit und hat es eilig. Im Bürgerhaus von Ruhlsdorf warten längst rund dreißig aufgebrachte Männer und Frauen. Sie wollen, „daß die Polizei endlich was macht“. Schon zum zweiten Mal haben rechtsradikale Krakeeler die Anwohner des Ortes bedroht, und zu Tausenden fallen allwöchentlich die Ausflügler ein, parken Gehwege, Einfahrten und Waldwege zu, lassen Berge von Müll am nahen Badesee zurück. Die Ruhlsdorfer wissen sich nicht mehr zu helfen gegen diese Plage und haben den Polizeipräsidenten aus Eberswalde zu einer „Sicherheitskonferenz“ hergebeten. Da sitzt er nun am Tisch und sieht sich zum Verwechseln nicht ähnlich. Der Polizeipräsident ist knapp 1,65 groß, trägt knöchellangen Leinenrock und dezentes Make-up. Findet jemand etwas dabei? Nein, niemand, zumindest nicht so, daß man es merken würde. Im Osten Deutschlands ist so viel Selbstverständliches zur Seltenheit geworden, daß die Seltenheit schon selbstverständlich ist.

Seit November 1991 ist Uta Leichsenring Chefin von achthundert Polizisten und hundert Verwaltungsangestellten. Auf einem Gebiet von 4.200 Kilometern ist sie als Polizeipräsidentin für Law and order unter 320.000 Bewohnern verantwortlich. Wie nennt man eine Frau auf diesem Posten? „Oberbullin“? Schon die Absurdität des Wortes zeigt, daß eine weibliche Besetzung des Amtes üblicherweise außer Denkweite ist.

Ohne die kurze Zeit der Nach- Wende-Anarchie wäre sie auch in Eberswalde keine Realität. Denn die Polizeichefin ist nicht nur eindeutig eine Frau, sie stammt auch aus einer politischen Ecke, die nicht gerade zur Polizeiarbeit prädestiniert: Die 44jährige kommt aus der DDR-Bürgerbewegung, die geprägt ist von Negativerfahrungen mit grün-grauer Uniform.

Uta Leichsenring selber war „keine Widerstandskämpferin“. Ohne die Wende säße sie noch heute in einem Potsdamer Ingenieurbüro – erwartungsvoll harrend nie vollzogener sozialistischer Reformen. Doch mit dem Mauerfall sind auch in ihrem Leben „innerhalb von fünf Jahren so viele Dinge geschehen wie zuvor in zwanzig nicht“.

Uta Leichsenring engagierte sich in den Bürgerkomitees für die Stasi-Auflösung, wurde hauptamtliche Stasi-Auflöserin und schließlich Leiterin der Potsdamer Gauck-Filiale. Wer sie 1991 als Polizeipräsidentin ins Spiel gebracht hat, weiß sie bis heute nicht so genau. Klar ist nur, daß der Weg dorthin eine speziell ostdeutsche Karriere war. In Westdeutschland wäre ihre Nominierung kaum denkbar gewesen: keine Verwaltungserfahrung, null Stallgeruch, kein Parteibuch. Im Osten hingegen war eine Richtungsentscheidung der brandenburgischen Landesregierung Steigbügel zum Aufstieg. Die sechs neuen Polizeipräsidien sollten nicht von „Polizeiapparatschiks“, sondern von politischen Beamten geführt werden. Um den Bruch mit der Tradition der DDR-Volkspolizei zu signalisieren, wurden die Chefposten mit „Zivilisten“ besetzt – und die sollten aus dem Osten kommen.

Nach dem politischen Proporz fiel der Vorschlag für das Präsidium Eberswalde dem Bündnis 90 zu. Dessen Kandidat, der „Kritische Polizist“ Manfred Such, war am Veto der übrigen Fraktionen gescheitert. Uta Leichsenring wurde vorgeschlagen, der Bekanntenkreis brach in Lachen aus, sie selbst fand die Idee „reichlich kühn“. Bis dahin war sie „noch nie auf die Idee gekommen, mit der Polizei was zu tun haben zu wollen“. Weil sie neugierig war „und Lust hatte, was Neues zu machen“, sagte sie zu. Freunde und Familie nahmen's gelassen, nur der 16jährige Sascha maulte etwas von „Bulle“ und traute sich nicht, in der Schule zu sagen, was seine Mutter nun macht – aber ein bißchen stolz war er auch.

Im Westen, meint Uta Leichsenring, hätte sie diesen Posten nicht gewollt, „aber mit den Leuten hier im Osten bin ich aufgewachsen, und ich bin überzeugt, daß man auch mit den Menschen, die in der DDR geprägt worden sind, demokratische Polizeiarbeit machen kann und muß“. Daß das ein weit längerer Prozeß ist, als sie geglaubt hatte, merkt sie jetzt, nach fast drei Jahren. Denn in den Verantwortungsbereich der ehemaligen Bürgerrechtlerin fällt das berüchtigte Polizeirevier Bernau. Dessen Beamte stehen unter dem dringenden Verdacht, Vietnamesen mit folterähnlichen Methoden mißhandelt zu haben.

Als die Vorwürfe im Juni bekannt wurden, hat Uta Leichsenring zum ersten Mal „einen Anflug von Resignation“ bekommen, es hat sie „ungeheuer schockiert“. Sie hat auch an „Hinschmeißen“ gedacht, dann hat sie sich eher für Aufräumen entschieden: sieben Bernauer Polizisten wurden suspendiert, Gruppenleiter und Wachdienstführer auf weniger verantwortliche Positionen umgesetzt, die verdächtigte Polizeischicht durcheinandergewirbelt, um den Korpsgeist aufzubrechen.

Ein Vorgehen, das der Eberswalder Polizeipräsidentin große Anerkennung von außen eingebracht hat, aber auch erste Kritik von innen. „Bilderbuchartig“, lobt Tamara Hentschel vom deutsch- vietnamesischen Verein „Reistrommel“ das Durchgreifen. Die vietnamesischen Opfer fühlten sich ernst genommen. Polizeipräsidentin Leichsenring und Staatsanwältin Kerstin Langen hätten vertrauensvolle Vernehmungsbedingungen für die eingeschüchterten Opfer geschaffen, wie man sie bei der benachbarten Berliner Polizei noch nie erlebt hat. „Zu vorschnell“ sei sie mit den Suspendierungen gewesen, gegen die Unschuldsvermutung hat sie verstoßen“, schimpft der Vorsitzende der brandenburgischen Gewerkschaft der Polizei, Andreas Schuster, dagegen.

Eigentlich ist Schuster des Lobes voll für die Eberswalder Chefin. Aber ihr Durchgreifen in Bernau geht ans Eingemachte, „das schafft Unmut“. Uta Leichsenring weiß das, „aber da müssen wir durch. Die Polizei umzukrempeln, das ist eben nicht mit einer schicken Uniform und einer neuen Ausrüstung zu haben. Das allerschwierigste ist die Arbeit in den Köpfen.“

Die bestgehaßte Vopo-Truppe mußte nach der Wende andere Denkweisen lernen, andere Rechtsgrundlagen, anderes Handwerkszeug, ein anderes Selbstverständnis. Bis vor kurzem war noch nicht klar, wer bleiben darf und wer als „belastet“ gehen muß. Die eigene Verunsicherung hat es der uniformierten Truppe wohl leichter gemacht, eine Frau und Newcomerin als Chef zu akzeptieren. Sicher, „anfangs wurde getuschelt, wie lange sich eine Frau auf solch einem Posten hält“, erinnert sich Gewerkschaftsmann Schuster. Aber inzwischen habe sich die Präsidentin mit „sachlicher, ruhiger, basisnaher Arbeit“ durch manches Männervorurteil gebissen. Dem Betriebsklima zumindest scheint die weibliche Führung zu bekommen. Beim Gespräch mit der Presse platzt der Abteilungsleiter ins Chefzimmer und serviert das Mittagessen – damit Frau Präsidentin „uns nicht umfällt. Wir brauchen sie nämlich noch.“ Als Frau im Männerclub? Uta Leichsenring hat damit wenig Probleme. „Das waren wir DDR-Frauen doch gewohnt.“ Erst bei Polizeibesuchen im Westen kam sie sich vor „wie ein Exot“.

Weit schwieriger als die ungewohnte Rolle ist der innere Spagat. Eher vorsichtig spricht Uta Leichsenring von dem Konflikt zwischen ihrem politisch-moralischen Anspruch und dem Alltag der Polizei. Gleich beim ersten Großeinsatz geriet sie ins Dilemma. Als in Eberswalde etliche Gruppen zum Andenken an den erschlagenen Angolaner Antonio Amadeu demonstrierten, hätte Uta Leichsenring gut und gern dabeisein können. Als Polizeipräsidentin stand sie dann am Straßenrand und beobachtete, wie autonome Grüppchen mit Steinen auf „ihre“ Polizisten losgingen und wie umgekehrt „ihre“ Beamten den Demonstranten nachjagten. „Beschissen, einfach beschissen“ hat sie sich da gefühlt. Einerseits war sie betroffen, andererseits hatte sie auch Wut, „denn das war die erste Erfahrung der Polizisten mit Linken, und ausgerechnet das war keine gute“.

Gleichzeitig kann sie auch verstehen, daß nach solchen Einsätzen „der Eindruck entstehen muß, daß die Polizei mehr gegen links als gegen rechts vorgeht“. Eindruck? Bloßer Eindruck, nicht Realität? Nein, „so allgemein“ möchte Uta Leichsenring das nicht sagen, „aber ich kann nicht garantieren, daß nicht auch Polizisten gegenüber rechtem Gedankengut aufgeschlossen sind. Die Polizei ist ein Querschnitt der Bevölkerung, ethisch und moralisch müssen wir dennoch höhere Ansprüche an einen Polizisten stellen als einen Bäcker.“ Pannen, peinliches Versagen oder ostentatives Wegschauen bei neonazistischen Auftritten – für skandalöse polizeiliche Fehltritte wie in Buchenwald oder Magdeburg mußte die Eberswalder Präsidentin bisher noch nicht ihren Kopf hinhalten.

Aber ein Neonazi-Teffen wie unlängst im brandenburgischen Rangsdorf, wo mehr als achthundert Rechtsradikale im Kulturhaus ihre Lieder absingen konnten, das hätte, meint Uta Leichsenring, auch anderswo ungestört stattfinden können – und anderswo, das sagt sie nicht, heißt auch: Eberswalde. Das Problem mit der rechten Szene sei, „daß ja auch die Rechten demokratische Rechte haben, und wenn sie dann gewalttätig werden, dann kommen wir immer zu spät“.

„Wir“ – Uta Leichsenring will keine Polizistin sein, aber in dem „Wir“ klingt nicht der leiseste Zweifel. Schlaflose Nächte lang grübele sie, ob das richtig sei, was sie gerade tut, und ob man die Polizeiarbeit nicht doch anders machen könnte. Ist es wirklich ein Unterschied, ob eine Frau an der Spitze der Polizei steht, eine Bürgerrechtlerin noch dazu? „Sozial, sehr sozial und kooperativ“ sei sie, lobt der Polizeigewerkschafter. Heilfroh sei er, daß die Chefin eine Frau ist, schwärmt auch der Chauffeur: Als im vergangenen Jahr aus Kostengründen neun Polizistinnen entlassen werden sollten, „da hat sie wahnsinnig gekämpft um die“. Aber die Frau ist nicht Sozialarbeiterin, sie ist Polizeipräsidentin. „Das Entscheidende ist“, meint Uta Leichsenring, „daß ich die Dinge nicht unter polizeitaktischen Grundsätzen sehe. Ich muß das auch politisch verantworten können, und manchmal lassen sich Dinge aus menschlicher Sicht leichter lösen als mit polizeilichen Mitteln.“

Als Uta Leichsenring im November 1991 ihr Amt antrat, hat sie Freunde und Bekannte gebeten, sie zu warnen, sobald sie Veränderungen an ihr registrierten, „denn auf keinen Fall will ich dabei hart werden“. Bisher hat noch keiner Alarm geschlagen, lacht Frau Präsidentin – schlägt die Beine übereinander, wartet, bis der einzige Mann im Zimmer den Raum verlassen hat, und tuschelt der Besucherin zu: „Haben Sie gesehen, was der Typ gerade für wunderschöne Augen hatte?“

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