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■ Polen stöhnen unter der Hitze, Brauereien jubelnJenseits der Erfrischungsgrenze

Warschau (taz) – Obwohl sie nur stehen und das Gewehr präsentieren mußte, hatte die Ehrengarde den schwierigsten Part bei den Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstands. Denn bei 38 Grad im Schatten ist auch das Stehen kein Vergnügen, besonders wenn weit und breit kein Schatten da ist und man die groben Uniformstoffe und hohen Schaftstiefel der polnischen Armee trägt. So wankte bald ein Gardist nach dem anderen aus der Reihe und ließ sich im kühlen Grase nieder, wo er von jungen Krankenschwestern mit Handtüchern und Minderalwasser wieder auf Vordermann gebracht wurde. Die Aufständischenveteranen betrachteten das Schauspiel spöttisch – sie hatten trotz ihres hohen Alters weniger Ausfälle.

Doch die Hitzewelle an der Weichsel bringt nicht nur die Marschordnung der Armee durcheinander. Polen verzeichnet mit über 500 Ertrunkenen auch eine Rekordzahl an Badeunfällen. Dabei trocknen in manchen Landesteilen die Flüsse aus. Das Wasserniveau der Weichsel ist auf unter 90 cm gesunken, an manchen Stellen sieht man mehr Sandbänke als Wasser. Klar, daß sich die schwitzenden und keuchenden Warschauer da auf jede Pfütze stürzen und sich dabei dann abwechselnd Krankheitsbakterien, Knochenbrüche oder Temperaturschocks zuziehen. Wirkliche Kühlung gibt's ohnehin nur noch am Meer, an dem zum Glück außerhalb der Danziger Bucht nahezu alle Strände geöffnet sind. Die Seen weisen inzwischen Temperaturen jenseits der Erfrischungsgrenze auf: um die 28 Grad.

Der Grundwasserspiegel sinkt unterdessen in nie geahnte Tiefen, und manche Gemeinden haben bereits den Wasserverbrauch rationiert. Nur die Brauereien freuen sich, sie feiern Rekordumsätze, ebenso wie die Hersteller von Mineralwasser. Letzteres wird in Warschau gehandelt wie Benzin zu kommunistischen Zeiten: Die Zulieferer kommen nicht nach, auf der Lebensmittelbörse erzielen bekannte polnische Marken wie „Mazowszanka“ Rekordpreise, die fast doppelt so hoch wie zu normalen Zeiten sind. Trotzdem fehlen die Glasflaschen in den meisten Läden. Davon profitieren wiederum Tafelwasserhersteller mit ihren meist nicht recyclingfähigen Plastikflaschen. So steigt dann durch die Hitze Polens Müllberg noch weiter an.

Mangelerscheinungen sind auch anderswo zu beobachten. Ventilatoren zum Beispiel gibt es schon lange nicht mehr. Ein Ende der Hitzewelle ist den Meteorologen zufolge nicht abzusehen. Anfang der Woche gab es in Warschau ein Gewitter mit kurzem Platzregen. Nur wenige Passanten spannten Regenschirme auf. Die meisten genossen die kurze Abkühlung. Minuten später waren Straßen und Kleidung wieder trocken wie zuvor. Der Regen, schrieb eine Zeitung, verdunste, bevor er ins Erdreich eindringen könne. Klaus Bachmann

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