piwik no script img

Aus dem Reich der Anekdoten

Zu Hitchcocks 95. Geburtstag gibt's dreimal Suspense im ZDF – Wissenswertes dazu  ■ Von Harald Keller

„Sie wurden gut bezahlt“, war Alfred Hitchcocks lapidare Antwort auf die naseweise Journalistenfrage, wie er die gefiederten Hauptdarsteller seiner Schnabelfabel „Die Vögel“ dazu gebracht habe, ihre menschlichen Partner so gemein zu molestieren. In gewisser Weise stimmte das: Aufwendige Spezialeffekte machten das Leinwandhickhack zur teuersten Produktion seiner bisherigen Laufbahn. Die komplizierten Aufnahmen beanspruchten mehr Zeit als üblich: Infolgedessen mußte „Hitch“ zu seinem Bedauern aus Kostengründen auf hoch dotierte Stars wie Audrey Hepburn und Cary Crant verzichten und statt dessen mit Rod Taylor und Tippi Hedren vorliebnehmen. „Die Vögel“, heute, 23.10 Uhr.

Hitchcock selbst hatte Hedren 1962 in einem Werbespot entdeckt, kostspielige Probeaufnahmen mit ihr gemacht und sie für sieben Jahre unter Vertrag genommen. Doch so lange hielt die Verbindung zwischen Regisseur und dem von ihm geschaffenen Star nicht an. „Die Vögel“ war ein Kassenerfolg; die Kritik aber fand kaum lobende Worte für die unterkühlt auftretende Hauptdarstellerin. Trotzig besetzte Hitchcock die Titelrolle seines nächsten Projekts wiederum mit Tippi Hedren, da die von ihm als „Marnie“ favorisierte Grace Kelly, damals bereits Fürstin von Monaco, entgegen ihren Neigungen aus Gründen der Staatsräson absagen mußte. Hitchcocks Verhältnis zu Hedren hatte unterdessen gleichsam manische Züge angenommen. Er suchte nicht nur die beruflichen, sondern auch die privaten Belange der inzwischen verheirateten Frau zu dirigieren. Darüber kam es am Set von „Marnie“ unausweichlich zum lautstark ausgetragenen Streit. Eines nahm Hitchcock besonders übel: „Sie hat etwas getan, was man einfach nicht tut: Sie hat auf mein Gewicht angespielt!“ Fortan sprach er nur von „that Hedren girl“, verweigerte jeden direkten Kontakt und ließ ihr seine Regieanweisungen durch Dritte mitteilen. „Marnie“, 13.8., 20.15 Uhr.

In Hollywoods großer Zeit waren Drehbuchautoren Schreibschergen und wurden keineswegs verwöhnt. Anders Raymond Chandler, der von den Warner Brothers 2.500 Dollar pro Woche gezahlt bekam und das Privileg hatte, daheim arbeiten zu dürfen. So mußte sich also Alfred Hitchcock nach La Jolla bemühen, als er Chandler für die Mitarbeit an der Patricia-Highsmith-Verfilmung „Zwei Fremde im Zug“ zu gewinnen suchte. „Sieh dir bloß den Fettsack an, wie er sich abmüht, aus seinem Auto zu kommen“, soll Chandler zu seiner Sekretärin gesagt haben, als Hitchcock sich aus seiner Limousine wuchtete. Trotz anhaltender Antipathie nahm Chandler die Arbeit auf, beklagte sich in der Folge aber immer wieder über seinen sturen Auftraggeber, der um der Optik willen ohne Bedenken auf Plausibilität und Psychologie verzichtete: „Er ist stets bereit“, schrieb Chandler, „die dramaturgische Logik (...) einem Kamera- oder Stimmungseffekt zuliebe aufzugeben. Er weiß das auch und nimmt das Handicap in Kauf. Er weiß, daß fast jeder seiner Filme einen Punkt erreicht, wo die Handlung keinen Sinn mehr ergibt und in eine Verfolgungsjagd übergeht, aber das macht ihm nichts aus.“

Chandler wertete als gutes Zeichen, daß er trotz diverser Differenzen das Skript beenden durfte. Hitchcock hingegen begriff Chandlers Elaborat nur als Basis für die von ihm selbst, gemeinsam mit mehreren KoautorInnen, erarbeitete Endfassung – was Chandler freilich maßlos verdroß. „Den Hitchcock-Film sollten Sie (...) lieber vergessen“, empfahl er dem Literaturprofessor und Kritiker James Sandoe, „denn ich habe unterdessen das endgültige Drehbuch gesehen, das man aus meinem Skript gemacht hat, und ein großer Teil ist geändert und kastriert worden. Es ist tatsächlich so schlecht, daß ich mir überlege, ob ich mich nicht weigern soll, meinen Namen für die Leinwand herzugeben.“

Zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gibt es den Film nun in der vollständigen Fassung zu sehen. „Strangers on a train“ war 1952 unter dem Titel „Verschwörung im Nordexpreß“ in die deutschen Kinos gekommen. Dabei fehlten jedoch zwei Minuten. Der Verleih hatte mehrere Szenen kürzen lassen, um eine FSK-Freigabe „ab 16 Jahren“ zu bekommen. Die Dialoge der vom ZDF wieder eingefügten Passagen sind in der rekonstruierten Fassung deutsch untertitelt. „Der Fremde im Zug“, 11.8., 23.15 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen