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Unterm Strich

Und noch eine Woodstock-Meldung zu Beginn der Woodstock-Woche: Der 3-Stunden-Konzertfilm von Michael Wadleigh wird in einer „Director's Cut“-Version auf den Videomarkt kommen. Wadleigh versteht das immer noch im Sinne einer weltumspannenden Gegenkultur: „Für mich war dieses Festival vor allem ein politisches Statement. Eine liberalere Gemeinschaft als die Woodstock-Generation hat Amerika nie wieder hervorgebracht. Und das fand eben auch seinen Ausdruck in den Texten und Klängen ihrer Musik.“ Wadleigh, der mittlerweile in Thailand lebt, hält das Festival, das am kommenden Wochenende vor 25 Jahren in Bethel bei Woodstock stattgefunden haben wird, für das bedeutendste Pop- Ereignis aller Zeiten – weshalb er auch gegen die Neuauflage ist: „Ich bin immer noch ein Linker, ein Enthusiast in Sachen Rock 'n' Roll der ehrlichen Sorte, erklärter Feind des bloßen Konsums von Kultur.“ „Hippie“ nennen darf man ihn trotzdem nicht.

A propos „Konsum von Kultur“: Richard Wagners des öfteren beschriebene Nähe zur Popmusik hat am vergangenen Wochenende neue Bestätigung erfahren. Mit einer „Hitparade der beliebtesten Werke“ haben Festspielorchester und Festspielchor der Stadt Bayreuth zu ihrer 800-Jahr-Feier gratuliert. Oberbürgermeister Dieter Mronz (SPD, natürlich!!!) nannte das einmalige Gastspiel der Mitwirkenden vom „Grünen Hügel“ in der ausverkauften Oberfrankenhalle „ein wahres Jahrhundertgeschenk“. 4.000 waren am Samstag abend nach der Einschätzung Mronz' „Zeugen eines international erstrangigen Festabends“ mit knapp 100 Musikern und rund 150 Chorsängern. Am Dirigentenpult standen Peter Schneider (nicht identisch mit dem umtriebigen Schriftsteller), Giuseppe Sinopoli und Chorleiter Norbert Balatsch, und das, obwohl sie an diesem Samstag eigentlich den ersten spielfreien Tag hatten. Das alles hat die Bayreuther offenbar vor Begeisterung fast verrückt gemacht. dpa schwärmt von „stehenden Ovationen“.

Nicht von schlechten Eltern auch der jüngste Streich der Stockhausen Entertainments Ltd. (und hat es nicht alles miteinand bei näherem Hinsehen und Nachdenken etwas objektiv Woodstockhaftes?). Auf einem gigantischen eisernen Klangschiff auf der Donau ist am Sonntag das Mysterienspiel „Im Augenblick“ aus der Feder Karlheinz

Stockhausens uraufgeführt worden. Der Breisacher Künstler Helmut Lutz hatte das Bühnenschiff entworfen, das zur ersten Aufführung in der Nähe der Benediktinerabtei Beuron andockte. Auf zwei Tiefladern soll es sodann die Donau entlang bis zum Bosporus expediert werden. Das Deck stelle eine offene Wunde dar, kommentierte Lutz. Aus ihrer Mitte entspringe ein Tropfen als Zeichen der Solidarität mit den Leidenden. „Ich arbeite an Europawegen“, kommentierte Lutz weiter. Zusammengehalten wird das Spektakel, in dem es um die Erzengel Luzifer und Michael, der griechischen Mythologie entlehnte Gottgestalten sowie diverse Drachenkämpfe geht, vom Götterboten Hermes, der als Seiltänzer versucht, die Götter gnädig zu stimmen, „damit das Morden im ehemaligen Jugoslawien ein Ende hat“ (dpa).

Und irgendwie bleiben wir beim Thema: Christo — ja, der — will vor seiner Reichstagsbandagierung noch mal eben das Museum Würth im baden-württembergischen Ort Künzelsau-Gaisbach verhüllen. Mehrere 100 Quadratmeter Fläche der auch als Museum genutzten Konzernzentrale eines Schraubenfabrikanten will er Mitte Januar nächsten Jahres mit weißem Stoff und braunem Packpapier zuhängen. Und wenn Sie sich jetzt fragen, was Christo zu diesem Vorhaben verleitet hat — ob es vielleicht der Glamour von Künzelsau-Gaisbach gewesen sein mag —, so lassen Sie sich von dpa berichtet sein, wie simpel es sich verhält: „Der 59jährige bulgarisch-amerikanische Künstler und der gleichaltrige ,Schraubenkönig‘ Reinhold Würth hatten sich vor einigen Monaten bei einem Empfang in Hamburg getroffen und sofort sympathisch gefunden.“

Gestorben: der russische Schriftsteller Leonid Leonow. Leonow, der 95 wurde, habe „die besten Traditionen der russischen Literatur fortgesetzt und unnachahmliche Seiten ihrer Geschichte geschrieben“, heißt es von Seiten der russischen Nachrichtenagentur ITAR-Tass. Leonow soll noch kurz vor seinem Tod eine umfängliche Buch- Beichte abgeschlossen haben, die zugleich die philosophischen und moralischen Lehren dieses Jahrunderts zusammenfaßt.

Gestorben ist auch Albrecht Roeseler, der langjährige, 1993 pensionierte Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung. Roeseler starb an den Folgen eines Herzinfarkts in Haar bei München.

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