piwik no script img

„Vor 3 Tagen war hier noch Wildnis“

Israels Regierungschef Jitzhak Rabin und Jordaniens Kronprinz Hassan weihen in der Wüste einen Grenzübergang ein / Für BürgerInnen der beiden Staaten bleibt er jedoch vorerst geschlossen.  ■ Aus Aqaba Khalil Abied

„Laßt uns das Tal der Misere in ein Tor der Hoffnung verwandeln“, zitierte der jordanische Kronprinz Hassan Ibn Talal gestern in fehlerfreiem Hebräisch das Alte Testament. Dann nahmen er und und Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin je eine goldene Schere und durchtrennten zwei weiße Bänder. Mit der Zeremonie eröffneten beide einen neuen Grenzübergang zwischen Israel und dem Haschemitischen Königreich Jordanien. Rabin würdigte in seiner Ansprache die Geschwindigkeit, mit der die beiden Staaten ihre Beziehungen normalisieren: „Vor drei Tagen war hier noch Wildnis. Vor drei Wochen war der Frieden noch weit. Aber heute ist er Realität.“ US-Außenminister Warren Christopher pries das Ereignis mit den Worten: „Ein Übergang ist eröffnet worden, der Krieg ist Vergangenheit.“

Als „merkwürdiges Wunder“ bezeichnet einer jener jordanischen Ingenieure, die den Grenzübergang binnen weniger Tage errichtet hatten, das Ereignis. „Bis zum vergangenen Mittwoch war hier noch Wüste. Es gab nichts als Dünen, Minen und Stacheldraht, die unsere beiden Länder trennten.“ Doch danach arbeiteten Ingenieure und Soldaten beider Länder, um auf der jeweils eigenen Seite einen Weg zu jener Stelle zu bahnen, an der der Übergang errichtet wurde. Sechs Kilometer nördlich der Hafenstadt Aqaba errichteten Jordanier weiße Container. Sie dienen als Büros für Grenzpolizisten und Zöllner. Mehrere Banken eröffneten Wechselstuben und in einer Bude werden alkoholfreie Getränke angeboten.

Das Protokoll der gestrigen Zeremonie war mit symbolträchtigen Akten gespickt. Zuerst schüttelten sich Angehörige von Opfern der Kriege zwischen beiden Staaten die Hände. Dann traten sich pensionierte Soldaten der beiden Armeen gegenüber und begrüßten sich ebenfalls mit Handschlag. Zum Schluß traten die Militärbefehlshaber der iraelischen und jordanischen Südprovinzen aufeinander zu, in deren Verantwortungsbereich der neue Übergang liegt.

Bei all diesen Formalitäten fiel auf, daß keine Flaggen zu sehen waren und auch keine Nationalhymnen erklangen. Das Manko machte deutlich, daß trotz aller Friedensbekundungen noch kein Friedensvertrag vorliegt. Die gegenseitige Anerkennung beider Staaten soll erst vollzogen werden, wenn strittige Grenz- und Wasserfragen geklärt sind.

Eine andere Einschränkung betrifft den Personenkreis, der den Übergang nutzen kann. Bisher dürfen nur Bürger dritter Staaten die Grenze überqueren. Für JordanierInnen und Israelis bleibt die Grenze vorerst verschlossen. Unter jordanischen Politikern ist es ein offenes Geheimnis, daß König Hussein die Normalisierung nicht allzu schnell vorantreiben will, damit seine Untertanen Gelegenheit haben, die Veränderung zu verdauen. „Viele Jordanier haben an den Entwicklungen schwer zu schlucken. Für viele war der plötzliche Frieden ein Schock“, erklärt ein Politiker, der an der Zeremonie teilnehmen durfte. Die Geschwindigkeit der Ereignisse übertraf die Erwartungen vieler JordanierInnen. Am Sonntag sprach der israelische Präsident Chaim Herzog über die neu installierte Telefonleitung mit König Hussein und lud den Monarchen nach Jerusalem ein. Bei seiner Rückkehr von einem Besuch in London überflog Hussein in der vergangenen Woche erstmals israelisches Territorium. Der Hobbypilot beendete damit das Luftembargo zwischen beiden Staaten.

„Ich habe mit der Muttermilch aufgesogen, daß die Israelis unsere Feinde sind“, erklärt Dschamal. Der 29jährige arbeitet in der Verwaltung einer staatlichen jordanischen Phosphatfabrik. „In der Schule habe ich gelernt, daß die Juden unsere Gegner sind. Wie soll ich innerhalb weniger Tage meine Gefühle verändern?“ Für den Lebensmittelhändler Jussuf bietet der Frieden mit Israel Anlaß zu tiefer Traurigkeit: „Wie kann man Frieden schließen, solange israelische Soldaten palästinensischen und arabischen Boden besetzen?“ Auf die Frage, was er machen wird, wenn die ersten israelischen Kunden seinen Laden betreten, überlegt er eine Weile. „Gefühlsmäßig möchte ich nicht mit ihnen reden, aber unter kommerziellen Gesichtspunkten müßte ich sie wie ganz normale Kunden behandeln, schließlich habe ich eine Familie zu ernähren.“ Für Nayef, den Besitzer eines kleinen Supermarktes, ist „der Krieg mit Israel beendet“, aber inzwischen hat ein neuer Konflikt begonnen: „Ein Wirtschaftskrieg.“ Wenn es den Jordanierinnen nicht gelänge, die Wirtschaft ihres Landes zu sanieren, „dann wird der israelische Dämon uns fressen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen