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Purzeltach zum Schenkelklopfen

■ Schrill, schlüpfrig und stets mutig: Schmidt-Theater feierte 6. Geburtstag im Kreise der Familie

Das verflixte siebente Jahr läutete das Schmidts am Spielbudenplatz zünftig mit dem sexten Geburtstag ein. Den feierte man im öffentlichen Kreise der Variete-Familie. Zu der gehörten am Montag abend alle geladenen Geburtstagsgäste, die mal wieder ein Näschen Volkstheater schnuppern wollten – zum Nulltarif bei gleichzeitigem und freiwilligem Singen des Geburtstagsständchens „Viel Glück und viel Segen...“

Quietschend bunt wie bei einem schwulen Kindergeburtstag, gemütlich wie bei einer alternativen Butterfahrt und so leger wie es unter Pastorentöchtern so zugeht, versammelten sich in dem am 8. 8. –88 eröffneten Variete berühmte Gäste von Evelyn Künnecke bis Rainer Bielfeldt, von Friedhelm Mönter – einem der drei geladenen Jorunalisten – bis zur Kölner Frohnatur Franca Schweitzer, dem Trash-Star in Pink. Die wahrhaftig schräg singende Sekretärin, Gesangs- und Lebenskünstlerin versichterte auf offener Bühne und vor versammelter Familie, daß sie den ganzen Quatsch völlig freiwillig mache, was sie Corny Littmann zur Not sogar schriftlich geben würde. Daß die Techniker das Playback für ihren Hit „My Way“ – frei nach Frank Sinatra – zunächst nicht rechtzeitig einspielten, ist mittlerweile der Running-Gag in der Bühnen-Konversation von Frau Schweitzer und Herrn Littmann, und wie groß ist jedesmal wieder die Freude, wenn Franca schließlich doch zur Vollstreckung schreitet, das Mikro greift und in schlechterdings unvergleichlicher Manier zu schmettern beginnt. Mut müßte man haben, mag da manch schlummerndes Bühnentalent – ob Eppendorfer Sparkassenangestellter oder Kultur-Manager, ob Clark-Kent-Tunte oder Jeansverkäuferin – an den Tischchen gedacht haben.

Mut brauchten schließlich auch Ernie Reinhard und Corny Littmann, als sie den Schmidt-Stern vor sechs Jahren über der Reeperbahn aufgehen ließen. Über eine Million Besucher konnten mittlerweile im Schmidt und im 1991 eröffneten Tivoli begrüßt werden, über 40 Fernsehshows wurden vom Kiez gesendet, doch trotz solcher Bilanzen „bewegen wir uns wieder mal haarscharf am ökonomischen Rand“ beklagt Littmann, dessen Etablissement unter der Fußball-WM und diesem Supersommer ebenso heftig litt, wie manches der ihm so verhassten Staatstheater, die nun in den Sommermonaten mit leichter Musical-Kost ihre Kassen zu füllen hoffen und damit dem nicht subventionierten Schmidt das Wasser abzugraben drohen.

Auch deshalb hatte das Geburtstagsprogramm gleichzeitig die Funktion eines Schaufensters, in dem die Schmidt-Künstlerinnen und -Künstler Kostproben ihrer Nummern ausstellten. Die Frivoldies unter der Leitung der Pianistin Lia Bendorff, 80, trällerten „Solange die Hose nicht am Kronleuchter hängt, seid ihr ein ganz müder Verein“. Der Dichter und Wortverdreher Heino widmete dem FC St. Pauli den jugendfreien Zweizeiler „Feuerzeug“: „Die zweite Halbzeit gleich beginnt, doch feuerzeug ich noch –n Kind.“ Das russische Clowns-Trio Mikos – noch bis zum 3. September am Spielbudenplatz – machte mit dem „Tanz in gelben Röcken“ auf sich aufmerksam, einer an anarchistischem Blödwitz wahrscheinlich kaum noch zu überbietenden Choreographie mit Stechschritt im Entengang und ähnlichen artistischen Einlagen. Die in Rußland sehr bekannte Clownsgruppe hat gute Chancen, in die Fußstapfen der Clowns von Mimikritschi zu treten, die ausgehend von ihren Gastspielen am Spielbudenplatz nun erfolgreich durch ganz Europa touren. Ob auch der junge Mann namens Dingo, der nicht nur überzeugend einen Fahrstuhl sondern sogar Kate Bushs „Wuthering Heights“ imitierte, eine solche Karriere vor sich hat, wer weiß? Eine, die zu den ganz großen Entdeckungen des Schmidt zählt, hielt sich dezent im Hintergrund, Jutta Wübbe alias Marlene Jaschke feierte ohne die geliebte Waltraud im Publikum mit. Die Mischung zwischen Stars wie Georgette Dee und hausgemachten Größen wie dem Wilhelmsburger Original Eddy Winkelmann, der seine ersten Schritte auf dem Weg des Ruhms bei der Tresen-Show machte, soll auch in Zukunft für das spezielle Schmidt-Flair sorgen.

„Gib dem Gestern einen Kuß“, schaute Ernie Reinhard, ganz privat in Jeans und Hawaii-Hemd und nebenbei unschlagbar schlüpfrig wie eh und je, in die Zukunft, und das Salonorchester Gnadenlos Rudi-Schurickelte „Bella Marie“ und knüpfte damit an Zeiten an, als das Schmidt noch Kaiserhof hieß.

Zum Schluß durfte Franca Schweitzer noch mal ran und entließ das Publikum mit „Keßera ßera, watt ewwer will bi will bi...“. Tröstlich war in manchen Momenten nur der Gedanke, daß die Einnahmen der Geburtstgasparty auf das Konto der Hospiz-Initiative Hamburg Leuchtfeuer gehen. jkn

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