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Das Euro-Empire schlägt zurück

Schokolade aus Tierblut? Kondomzwang auf Fischerbooten? – Alles Lüge von bösen britischen Zeitungsschreibern, sagen die Brüsseler Bürokraten  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Zu den schönsten Geschichten über die Regelungswut der Europäischen Kommission gehört sicher, daß jeder Jäger künftig einen Tierarzt und einen Kühlschrank mit auf die Pirsch nehmen müsse, damit das erlegte Wild den Brüsseler Richtlinien entsprechend auf den Verzehr vorbereitet werden könne. Erfolgreicher allerdings war die Nachricht von den zweihundert Kondomen, die alle Fischerboote künftig an Bord haben müßten, um sicherzustellen, daß die Fischer auch auf dem Wasser Safer Sex hätten. Doch der unangefochtene Spitzenreiter in der öffentlichen Wirkung war die unappetitliche Geschichte über eine geplante Schokoladenrichtlinie, nach der im Kakaoriegel auch Ersatzstoffe aus Tierblut zugelassen werden sollten.

Die drei Zeitungsmeldungen hatten eines gemeinsam: Sie sind ziemlich frei erfunden. Das britische Informationsbüro der Europäischen Kommission hat nun ein paar Dutzend solcher Euro-Legenden zusammengetragen und, fein säuberlich aufgelistet mit dem Namen der Zeitung und jeweiligem Erscheinungsdatum, als Broschüre veröffentlicht. Danach hat der Daily Telegraph seinen Lesern am 2. Oktober 1993 wahrheitswidrig mitgeteilt, Brüssel plane, ein ultimatives europäisches Adelsregister zu erstellen, um den Mißbrauch falscher Adelsnamen auf Weinflaschen-Etiketten zu unterbinden.

Bereits am 18. Juni desselben Jahres hatte der Evening Standard aufgejault, Brüssel wolle allen Zoos und Tierparks einen Elefanten als Werbesymbol vorschreiben, auch wenn der Zoo vielleicht gar keinen Elefanten habe und die Hauptattraktion ein Panda sei.

Und der Daily Mirror hatte zeitgleich mit dem Daily Express am 3. Mai 1993 lamentiert, die Europäische Kommission werde jetzt auch noch die beliebten englischen Strandpostkarten mit den schmutzigen Zeichnungen verbieten, weil die sexistisch seien.

Daß die Broschüre nicht in Brüssel, sondern in London aufgelegt wurde, hat den einfachen Grund, daß solche Mythen auf der Insel der Euroskeptiker die besten Wachstumsbedingungen vorfinden und deshalb dort auch besonders nachhaltig blühen. Bei genauer Durchsicht fällt auf, daß auch die lustigen Euro-Legenden, die bei uns im Umlauf sind, fast alle in Großbritannien gefertigt wurden. Die meisten kontinentalen Blätter haben sich offensichtlich gerade noch die Mühe gemacht, die britischen Meldungen in die eigene Sprache zu übersetzen. Phantasievolle Eigenrecherchen sind selten. Mit Ausnahme vielleicht der erwähnten Blutschokolade, die von dem braunen Österreicher Jörg Haider aufgetischt wurde, um seinen Landsleuten den Appetit auf den EU-Beitritt zu verderben. Vor allem österreichische Zeitungen haben diese Mär nicht nur nachgedruckt, sondern auch noch ausgeschmückt.

Doch zwischen den britischen Redaktionen tobt ein echter Wettbewerb um die schrägsten Anti- Brüssel-Geschichten. Selbst Zeitungen mit durchaus seriösem Anspruch – wie etwa The European oder die Financial Times – fischen gelegentlich selbst mit oder drucken zumindest nach, was die Boulevardzeitungen rund um Brüssel an Unsäglichem ausgegraben haben wollen. So hat zum Beispiel auch die Times am 7. Januar 1994 die eigenartige Geschichte nachgedruckt, die Europäische Kommission würde Hafenbetrieben den Fischgeruch untersagen.

Während bei einigen Meldungen der Ursprung völlig im dunkeln liegt, kann diese zumindest in Anspruch nehmen, daß es zwar kein europäisches, aber doch ein britisches Gesetz gibt, das man so auslegen könnte. So wie übrigens die meisten Geschichten entweder auf irgendein Mißverständnis oder auf Äußerungen von Politikern zurückgehen, die Profil suchen. Das Adelsregister beispielsweise wurde von einem italienischen Europaabgeordneten ins Gespräch gebracht.

Der Guardian wiederholt regelmäßig den Vorwurf, Brüssel würde die Briten daran hindern, für ihre Schulbusse Sicherheitsgurte vorzuschreiben. Dieser Vorwurf, der von verschiedenen Abgeordneten der britischen Regierungspartei aufgebracht wurde, um die eigene Regierung aus der Schußlinie zu nehmen, ist deshalb so bescheuert, weil er nach jedem britischen Busunglück erneut auftaucht, obwohl relativ einfach nachzuschlagen ist, daß jedes Land so viele Sicherheitsgurte vorschreiben kann, wie es will – notfalls auch für den Kofferraum.

Allerdings räumt die Europäische Kommission in dem Heftchen auch ein, daß manche Legenden gar keine Legenden sind, sondern einfach nur Sachen, die sich seltsam anhören. Etwa die Brüsseler Verfügung, daß Karotten nicht zum Gemüse, sondern zum Obst zu rechnen sind. Mit dieser eigenartigen Zuordnung soll den portugiesischen Karottenzüchtern erlaubt werden, weiterhin ihre beliebte Karottenmarmelade zu verkaufen. Schließlich darf Marmelade zum Schutz der Verbraucher nur aus Obst hergestellt werden. Die Weisheit der Kommission ist unfaßbar.

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