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Neuer Knatsch in Rom

■ Neofaschistischer Umweltminister bezeichnet Abtreibung als Mord / Der Vatikan jubelt, Koalitionspartner drohen

Rom (taz) – Kein Tag Ruhe herrscht in der Riege regierungsamtlicher Unruhestifter in Italien: Nun sorgt mitten in der Urlaubszeit – früher eine geheiligte Periode des Waffenstillstandes – eine Erklärung von Umweltminister Altero Matteoli (Mitglied der neofaschistischen Nationalen Allianz) für einen großen Aufschrei. Der Ressortchef fürs Ambiente hat in einem Interview mit Radio Vatikan Abtreibung ohne alle Einschränkung als Mord bezeichnet und sich somit kurz vor Beginn der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo voll zum Standpunkt des Heiligen Stuhls bekannt. In einer weiteren Erklärung – und unter Hinweis auf bereits im Senat eingebrachte Änderungsinitiativen seiner und anderer Regierungsfraktionen – behauptet Matteoli, daß zumindest die Mehrheit der Regierung voll hinter den Revisionswünschen stehe.

Nur wenige Minuten nach dem Interview ließ sich der Sprecher von Johannes Paul II. befragen und drückte die „Freude des Heiligen Vaters“ aus, „in der italienischen Regierung eine Administration zu haben, die den Fragen des Schutzes von Leben und Gesundheit höchste Aufmerksamkeit entgegenbringt“. Länger dauerte es, bis sich die Gegner solcher Initiativen zu Wort meldeten. Frauenverbände wiesen darauf hin, daß täglich 700 Frauen bei der Geburt sterben. Die Radikale Partei, die – wenngleich ohne Minister – die Regierung bisher unterstützt und ihr schon über manche Abstimmungshürde geholfen hat, drohte das Überwechseln in die Opposition an. Kein Wunder, war sie es doch unter ihrem Führer Marco Pannella gewesen, die in den siebziger Jahren durch Referenden das damals noch geltende absolute Abtreibungsverbot aushebelte und Italien eines der liberalsten Gesetze Europas verschaffte. „Bisher“, so Pannella, „hat die Regierung sich bei ihrem Sommertheater vor allem selbst geschadet; wenn die aber nun aus ihrem Spektakel blutigen Ernst machen wollen, Millionen Frauen mit dem Mordvorwurf nicht nur beleidigen, sondern viele von ihnen wieder zu Engelmacherinnen und so oft selbst in den Tod treiben, werden wir das mit einer erneuten mächtigen Kampagne zu verhindern wissen.“

Noch ist nicht klar, ob die Antiabtreibungsinitiative des Ministers mit Regierungschef Silvio Berlusconi abgesprochen war. Sie könnte einen Versuch darstellen, sich im Vatikan einen mächtigen Verbündeten zu verschaffen, nachdem das Image der Administration aufgrund ständiger Patzer immer schlechter wird und auch der versprochene Wirtschaftsaufschwung auf sich warten läßt. Andererseits haben trotz der zweifellos vorhandenen starken Antiabtreibungsfront in der Regierungskoalition zahlreiche Vertreter etwa der Ligen, aber auch von Berlusconis „Forza Italia“ schon bei der Regierungsbildung erklärt, der einschlägige Paragraph des Strafgesetzbuches stehe nicht zur Debatte.

Offensichtlich fühlen sich bei dieser nun unversehens losgetretenen Diskussion auch enge Mitarbeiter des Regierungschefs höchst unwohl. Einige von ihnen, so der Sprecher des Ministerrats, Ferrara, weisen darauf hin, wie in den siebziger Jahren der Versuch der seinerzeit regierenden Christdemokraten, Imageverlust durch engere Anbindung an den Vatikan auszugleichen, zu einem grauenhaften Debakel geführt hat.

So ging das Scheidungsgesetz trotz des Einsatzes aller propagandistischen Mittel der Regierung Fanfani mit einer satten 57-Prozent-Mehrheit durch, so daß sich die Katholikenpartei mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr traute, sich auf eine solche Kraftprobe mit der Bevölkerung einzulassen. Werner Raith

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