: Die Anarchie der Clowns
■ Warum müssen manche Menschen sich extra blödsinnig anstellen? Ein Workshop samt Stück im Freiraum-Theater
„Spiel dümmer! Du mußt die Figur halten. Sei direkt!“ Die Regieanweisung, mit der Jürgen Müller-Othzen die SchauspielerInnen anfeuert, hat den gewünschten Effekt. Die Bewegungen werden linkischer, die Augen füllt kindliches Staunen und auf den Gesichtern breitet sich endlose Leere und Blödigkeit aus.
Im Freiraum Theaterlabor proben zur Zeit die Clowns der Stadt. Seit zwei Wochen nehmen fünf Männer und sieben Frauen an einem Workshop bei Müller-Othzen teil, der sich eine Bewältigung der bundesdeutschen Wirklichkeit vorgenommen hat. Die zentrale Frage: Wie politisch können Clowns sein? Zu Ende geht die Bühenarbeit am Wochenende mit einer Aufführung für's Publikum: „Das gestiefelte Schwein“
Warum aber mühen sich zwölf erwachsene Menschen, der unterschiedlichsten Berufe in ihrer Freizeit und offensichtlich gegen Kursgebühr wochenlang darum, all das zu werden, was sonst als unattraktiv gilt: dumm, ungeschickt, blöde, grotesk und geistlos zu werden. Dummer August. Thomas, ein Mitvierziger, ist von Beruf Anwalt. Seit sieben Jahren besucht er Theaterworkshops. Ist er süchtig? „Die Clownerie findet ja in meinem Beruf nicht direkt Eingang.“ Was lockt ist die Anarchie. Der Clown, dieses Bündel an Emotionen, an undisziplinierter Energie, der sich rücksichtslos über alles lustig macht, zu allem in Opposition geht und sich an keine Loyalitäten hält, dieser Clown ist gleichermaßen attraktiv für das Publikum wie für die SchauspielerInnen. „Man geht mit der Clownsfigur ein größeres Risiko ein. Wenn man einmal solch einen Stiefel geschmissen hat, das kann man nicht wieder zurücknehmen. Das ist nicht wie ein Satz.“ Manuela, die Wirtschaftswissenschaften studiert und diese Erkenntnis gerade gewonnen hat, hält den Springerstiefel noch in der Hand. Für die gegenwärtige Produktion ist das derbe Schuhwerk zum zentralen Requisit geworden. Zwei Dutzend Stiefel sind mittlerweile im Spiel. Geliehen hat sie übrigens den Clowns nicht das Theater am Goetheplatz, wo die Requisite ganz kollegial blockierte, sondern die Kleiderkammer der Bunderwehr selbst. „Wenn du mal so über die Bühne gehst, in strammer Haltung und den ganzen Abend diese Kindersärgen am Fuß hast, dann spürst du es einfach, wie dich das verändert.“ Ilse will sich gar nicht weiter erklären, wenn ich ihr nicht glaube, solle ich doch einfach mal selber in die Knobelbecher steigen.
Schweiß und Tränen stehen für die große Intensität im eigenen Erlebens. Erst wer da durch ist, der hat die Chance die Dinge neu zu sehen, am eigenen Leib zu spüren, wie sich die Faszination der Gewalt anfühlt. So erklärt sich auch die Wahl des Themas: deutsche Geschichte. Nein, auf ganz Aktuelles, die Ausschreitungen am Wochenende und Plünderungen bei Comet wolle man mit den clownesken Mittel nicht reagieren. „Das ist eher was fürs Fernsehn.“ Aber sich hinein versetzen in die Gegenposition und die verführerische Faszination von Gewalt das könne man jetzt viel besser. Jürgen Müller-Othzen, seit Jahren Workshop-Leiter, erinnert sich, welche Folgen das haben kann. „Da war dieser Lehrer, der hatte auch immer Disziplinschwierigkeiten mit den Schülern, die ihm auf der Nase rumtanzten. Nachdem er in Clownsprojekten war, hat er dann seinen Unterricht umgestellt.“
Welche Resultate die hoch explosive Mischung aus Gewalt und Aggression für die anarchistische Figur des Clown produziert, das wird die Aufführung zeigen. Hier sind dann die Energien durch die selbst auferlegten Regeln der Schauspielkunst kanalisiert. Immerhin stehen alle zwölf Clowns gemeinsam auf der Bühne, da will jeder sein anarchistisches Recht. In wechselnden Gruppen nehmen sie die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen der deutschen Nachkriegsgeschichte ein: Trümmerfrauen und Industrielle, Spießer und Gastarbeiter bis hin zum Anti-Fighter, der weder Anarcho noch Skin ist. Welch unkalkulierbare Mischung sich hinter der clownesken Gegenwartsinterpretation läßt schon der Name ahnen: „Das gestiefelte Schwein.“
Susanne Raubold
Am 12. und 13. um 20.30 Uhr in der Grundstr. 10
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