Kids jobben für „Luxus“

Die Zahl der minderjährigen ArbeiterInnen steigt. Für die meisten der Kinder ist die Arbeit der „Schlüssel zur Konsumwelt der Erwachsenen“  ■ Von Elke Eckert

Monika räkelt sich müde vor dem Fernseher am Sofa. Es ist fast Mitternacht, und die kleine Cora schläft schon lange. In einer Stunde wird die Nachbarin, Coras Mutter, vom Kino zurückkommen, und Monika kann nach Hause gehen. 30 Mark bekommt die 14jährige für vier Stunden Babysitten, sie bessert sich seit ein paar Monaten damit ihr Taschengeld auf.

Kinderbetreuung und Aushelfen in Tierarztpraxen gehört zu den häufigsten Arbeiten, die Berliner Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren machen. Das sind die ersten Ergebnisse einer Studie der Senatsverwaltung für Soziales, Abteilung Arbeitsschutz, in der Hauptstadt. Jungen dagegen arbeiten mehr in Handwerksbetrieben oder im Verkauf. Die 5.000 Fragebögen, die an drei Ost- und drei Westberliner Schulen verschickt wurden, werden zur Zeit ausgewertet. Die Berliner Studie ist eine von mehreren, die in der BRD jetzt zum Thema Kinderarbeit erstellt werden.

Der plötzliche wissenschaftliche Boom zu dem jahrzehntelang unbeachteten Thema scheint ein Indiz für das Ansteigen von Kinderarbeit zu sein. Vorher hielt es die Wissenschaft mit der Volksmeinung: Ein paar Mark nebenher mit Zeitungaustragen und Babysitten verdienen, um sich CDs, eine Markenjeans oder einen Gameboy kaufen zu können, ist eigentlich keine Kinderarbeit. Doch erste Untersuchungen 1987, erstellt von Soziologen in Münster, zeigten erstens eine unerwartet hohe Zahl von Kinderarbeit und zweitens Kinderbeschäftigung im Grenzbereich der Illegalität. Neben den „klassischen“ Beispielen, die laut Soziologen schon „zur gesellschaftlichen Normalität in der Bundesrepublik“ gehören, wurde auch wirklich harte Arbeit von Kindern geleistet. Wenn der 14jährige Markus an der Tankstelle schwarz für 4,50 Mark jobbt, wie ein Journalist des Rheinischen Merkur im November letzten Jahres berichtete, dann bewegt sich diese Arbeit nicht einmal mehr in der Grauzone, sondern ist schon illegal.

Das Jugendarbeitsschutzgesetz legt ein „generelles Beschäftigungsverbot“ für Kinder fest. Kinder im Sinne dieses Gesetzes sind die unter 14jährigen oder die Vollschulzeitpflichtigen. Je nach Bundesland müssen Kinder mindestens neun oder zehn Jahre die Schule besuchen. Beschäftigungsausnahmen gelten ab 13 Jahren für die Landwirtschaft, beim Zeitungaustragen und für „Handreichungen“ beim Sport. Alle Arbeiten sind jedoch zeitlich eingeschränkt (8 bis 18 Uhr), und sie müssen „leicht und für Kinder geeignet sein ... und dürfen die Schule nicht beeinträchtigen“. Für Ausnahmen bei Veranstaltungen und Auftritten im Theater und Film müssen Anträge bei der Aufsichtsbehörde gestellt werden.

Nach der ersten Studie 1987 folgte 1993 eine weitere des Münsteraner Instituts, diesmal in Hessen und mit der Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Sozialordnung. An Schulen in Marburg und Wiesbaden wurden die 13- bis 17jährigen Schüler mit Hilfe von Fragebögen nach ihrer Arbeit gefragt. Die sogenannte Kinderarbeitsquote lag danach in Marburg bei 46 Prozent, in Wiesbaden bei 54 Prozent. Von der Gesamtheit aller Kinder ging jedes vierte Kind einer illegalen Tätigkeit nach und verstieß oft in mehrfacher Hinsicht gegen die gesetzlichen Bestimmungen.

Zirka 80 Prozent der Kinderarbeit kommt durch die Vermittlung von Freunden oder Familienmitgliedern zustande. Erstaunlicherweise arbeiten jedoch nur zehn Prozent der Kinder im elterlichen Betrieb, 20 Prozent, meist Mädchen, in fremden Haushalten und 70 Prozent dagegen in einem fremden Betrieb. Mehr als die Hälfte der Kinder arbeitet in Kleinstbetrieben mit zwei bis zehn Mitarbeitern, dort ist auch der Anteil der verbotenen Arbeit am größten. Mit dem hohen Prozentsatz an Arbeit in nichtelterlichen Betrieben zeige sich, so die Mitarbeiter der Studie, „daß die Kinderarbeit auch wichtiger Teil des Ablösungsvorganges vom elterlichen Haushalt ist“.

Schon früh werden die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen deutlich: Grundsätzlich verdienen Mädchen ein bis zwei Mark weniger, auch wenn sie die gleiche Arbeit verrichten. Die Münsteraner Studie erforschte mit Hilfe von Fragen der Selbsteinschätzung auch die Motivation der Kinder für ihre Beschäftigung. Für über 60 Prozent der Kinder war das Geld der ausschlaggebende Faktor. Für sie, so die Wissenschaftler, stellt der Lohn den „Schlüssel zur Konsumwelt der Erwachsenen“ dar. Nur so, lautet das Fazit, „können die teuren Anschaffungen von Markenkleidung, Fernsehern, Computern und Mountainbikes erfüllt werden“. Der Spaß an der Arbeit wird nur von 20 Prozent als das Wichtigste beurteilt.

Auch in Brandenburg wurde 1993 eine Studie zu Kinderarbeit mit 86.000 Fragebögen begonnen. Die zu gut 85 Prozent eingegangenen Rückmeldungen sollen in diesem Herbst ausgewertet werden. Bei ersten groben Einsichten in die Unterlagen, so die Referatsleiterin im brandenburgischen Sozialministerium, sei ihr sogar ein Fall aus dem Baustellenbereich untergekommen.