: Rolands schwere Geburt
■ Erst 1989 gelangten alte Nazi-Dokumente aus dem Roland ans Licht der Welt
Es war eine schwere Geburt, bis endlich am 15. März 1989 eine Kiste mit nationalsozialistischem Inhalt aus dem Bauch des Bremer Roland gehoben wurde. Seit 1938 hatte die Metallkiste dort geschlummert, nachdem sie im Rahmen von Restaurierungsarbeiten in die Statue eingelassen worden war – an einem 5. November, dem Tag, der seit der Franzosenzeit als offizieller Geburtstag des Bremer Roland gilt. Damals versammelten sich auf dem Marktplatz Persönlichkeiten Nazi-Deutschlands, um den Roland als das Sinnbild der Deutschen Freiheit zu feiern. Bei dieser Gelegenheit wollte man der Nachwelt Zeitdokumente hinterlassen: Man mauerte der Statue unter anderem Gedenkmünzen, Aufsätze und Zeitungen ein.
Erst 1965 erinnerte man sich wieder an den Inhalt des Roland: Unvereinbar mit der Geschichte der Hansestadt sei es, daß in dem Bremischen Symbol weiterhin Dokumente aus Deutschlands dunkel- ster Zeit lagern, so verlautbarte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Richard Boljahn. Aber er erntete nicht nur Zustimmung. Hans Koschnick, damals Regierender Bürgermeister, bezeichnete es als unnötig, die Kiste aus dem Roland zu entfernen. Es sei eben üblich, Zeitdokumente in Statuen einzumauern – und auch wer das im Mittelalter getan hatte, war nicht nur demokratisch gesinnt gewesen, so hieß es. Pragmatisch klang es auch aus der Baudenkmalspflege: Die Dokumente seien ja nicht sichtbar – und darum gut aufgehoben. Damit galt das Thema für die Bremer Behörden als erledigt. Ein jahrelanges Schweigen legte sich über das metallene Kistchen und seinen zweifelhaften Inhalt.
Erst 1988 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit: Im Rahmen von Veranstaltungen zum Gedenken der Reichspogromnacht wurden erneut Forderungen laut, den NS-haltigen Inhalt endlich zu entfernen. Diesmal reagierte der Senator für Bildung und Kunst, Horst-Werner Franke: Die Entfernung der Dokumente wurde beschlossen. Weil die Ortung der Kassette sich aber als schwierig und kostspielig herausstellte, wuchs bereits neuer Mißmut: Ob es denn nötig sei, für sowas Steuergelder zu verschwenden? fragten BürgerInnen.
Endlich, am 15. März 1989, wurde der Roland von seiner Altlast befreit – und mehr noch. Mit der metallenen Kassette wurde eine sehr gut erhaltene Plastiktüte eines Bremer Kaufhauses geborgen. Jemand mußte sie vor nicht allzu langer Zeit den Relikten der Nazis zugefügt haben: Sie enthielt eine Stellungnahme zu den Verbrechen Adolf Hitlers und außerdem zwei Zeitungen aus dem Jahr 1984.
Des Rätsels Lösung: Im Frühjahr 1984, als am Roland Ausbesserungsarbeiten vorgenommen worden waren, hatten Steinmetze die Kiste entdeckt. Nachdem sie aber vergeblich versucht hatten, den Landesdenkmalpfleger zu erreichen, um ihn über ihren Fund zu unterrichten, und da sich auch sonst niemand zuständig fühlte, hatten sie den Roland wieder zugemauert – allerdings nicht, ohne der Geschichte einen eigenen, kritischen Zusatz zu verpassen. Was auch die Handwerker nicht wußten: Unter einem doppelten Boden wurden im Kistchen zwei Pappen gefunden, die zwei andere Arbeiter 1938 heimlich mit in die Kiste gelegt hatten. Auf ihnen hatten sie ihre persönlichen Lebensumstände festgehalten. Alle Papiere liegen heute im Staatsarchiv. Carmen Krenz
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