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Ein ohrenkratzender Toter-Briefkasten-Onkel auf der Parkbank Von Ralf Sotscheck

Kaum ein Volk ist so besessen von Geheimhaltung und Verrat wie die Engländer. Die berühmtesten Doppelagenten und die gemeinsten Spioninnen kamen aus England – und die dümmsten Politiker, die reihenweise über sie stürzten. Um das Leben der Spione ranken sich viele Legenden. Viele davon sind offenbar wahr: Bei einem Spionageprozeß vor dem Londoner Old Bailey legte der Verteidiger vor kurzem das Kinderbuch „The KnowHow Book of Spycraft“ vor, um zu beweisen, daß nicht nur sein Mandant, sondern heutzutage auch Zehnjährige mit Geheimkommunikation und Signaltechnik vertraut sind.

Das Buch enthält Informationen darüber, wie man einen toten Briefkasten anlegt, wie man Nachrichten kodiert und auf Parkbänken versteckt, wie man sich verkleidet und mit Handsignalen kommuniziert. Wenn man sich am Ohr kratzt, bedeutet das zum Beispiel, daß man seine Kontaktperson anrufen werde. Der KGB habe alles genauso gemacht, wie im Kinderbuch beschrieben, bestätigte Oleg Gordiewsky im Old Bailey. Er war ein KGB-Spion höchsten Ranges, als er 1985 zum britischen Geheimdienst überlief.

James Bond – auch nur ein ohrenkratzender Toter-Briefkasten- Onkel auf einer Parkbank? Nein. Agent 007 ist kein „aufgedunsener englischer Vorstädter oder kinnloser Aristokrat“, sondern ein Kelte, wie eine irische Sonntagszeitung triumphierend feststellte: sein Vater war Schotte, die Mutter Schweizerin. Deshalb auch sein „unwiderstehlicher Charme und sein attraktives Aussehen“. Die Engländer brauchen einen Ausländer, um ihr Land zu verteidigen, hänselte das irische Blatt, denn ein englischer Gentleman sei höchstens dazu fähig, Kleintiere und Fische zu töten. Bond dagegen tötet starke Männer, raucht türkische Zigaretten und ißt französische Eier. Obendrein haßt er Tee, das englischste aller Getränke, das für ihn den Untergang des britischen Weltreichs symbolisiert.

007 tat nach seiner „Geburt“ in den mageren fünfziger Jahren all das, was englische Männer auch gerne getan hätten: teure Kleidung tragen, gut essen, flirten. Und wenn er auch kein Engländer war, so war Bond doch immer Patriot – sozusagen das Gegengift zu all den Burgess und McLean, deren Enttarnung als Doppelagenten damals den Glauben an das Gute im Spion erschütterte.

Daher mußte die englische Nation schwer schlucken, als der neue Bond-Darsteller bekanntgegeben wurde: Pierce Brosnan, ausgerechnet ein Ire. „Ist das eine weise Entscheidung“, fragte die Londoner Times, „wenn man die Iren zu Helden macht? In dieser zahmen neuen Welt, in der die alten Feindbilder wegbrechen, braucht man die Iren vielleicht noch, um das Reich des Bösen zu spielen.“ Bond als Kämpfer gegen ein Imperium von dudelsackspielenden Guinnesstrinkern? Warum nicht, die Zeiten ändern sich schließlich: Brosnans 007-Vorgänger Timothy Dalton steht in Irland gerade als Rhett Butler in der Fortsetzung von „Vom Winde verweht“ vor der Kamera, und der britische Geheimdienst MI-5 hat mit Stella Rimington zum ersten Mal eine Frau als Chefin und beschäftigt sich mangels anderer Feinde hauptsächlich mit der IRA. Vielleicht hätte man Margaret Thatcher die Rolle als Bond geben sollen – mit geladener Handtasche.

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