: Weiterstadt – wie's weitergeht
Ab Ende 1994 soll das durch einen Bombenanschlag der RAF zerstörte Gefängnis in Weiterstadt wieder aufgebaut werden / Hessischer Untersuchungsausschuß tritt auf der Stelle ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/M. (taz) – In der Nacht auf den 27. März 1993 gegen ein Uhr erschütterte eine gewaltige Explosion die Gemeinde Weiterstadt. Ein „Kommando Katharina Hammerschmidt“ der RAF hatte die neugebaute Justizvollzugsanstalt am Rand der Kommune bei Darmstadt kurz vor der feierlichen Eröffnung in die Luft gesprengt: Sachschaden rund 100 Millionen Mark.
Sechzehn Monate nach dem Bombenanschlag ist das „Mustergefängnis“ (Justizministerium Hessen) platt wie eine Flunder. Der Haupttrakt, der bei der Explosion der 200 Kilogramm Sprengstoff in seinen Grundfesten erschüttert wurde, ist komplett abgerissen worden. Weil auch die Grundmauern schwer beschädigt worden waren, mußte der gesamte Trakt neu konzipiert werden. Baubeginn soll Ende 1994 sein. Für Ende 1997 geplant ist dann die (zweite) Einweihungsfeier „für den modernsten U-Haft-Komplex auf hessischem Boden“ inklusive einem Hochsicherheitstrakt für Frauen.
Während die Abbruch- und Aufräumarbeiten vor Ort längst abgeschlossen sind, ist die politische Aufräumarbeit in Wiesbaden noch voll im Gange. Ein Untersuchungsausschuß des Landtages beschäftigt sich seit Monaten mit den dubiosen Vorgängen im Zusammenhang mit dem Anschlag der RAF auf Weiterstadt – insbesondere mit der Rolle des V-Mannes des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, Klaus Steinmetz. Daß Steinmetz weitaus enger in die Strukturen der RAF eingebunden gewesen sein soll, als er nach dem Desaster von Bad Kleinen gegenüber der Bundesanwaltschaft (BAW) zugegeben habe, glaubt vor allem das Bundeskriminalamt (BKA). Zwar hat die Bundesanwaltschaft ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann wegen des Verdachts auf Tatbeteiligung beim Anschlag auf das Gefängnis in Weiterstadt inzwischen eingestellt. Doch im April 1994 erhielten die in der Szene kursierenden Gerüchte, wonach Steinmetz doch an der Tat beteiligt gewesen sein soll, neue Nahrung. Experten des BKA hatten in einem auf Steinmetz zugelassenen Pkw Spuren von Sprengstoff entdeckt – Sprengstoff vom Anschlag auf Weiterstadt. Und im Wagen von Steinmetz soll sich auch eine Kippe wiedergefunden haben, die dem Zigarettenstummel entsprach, der in einem von den Tätern benutzten Fahrzeug sichergestellt worden war. Doch bis heute hat die Bundesanwaltschaft kein neues Ermittlungsverfahren gegen den V-Mann aus Wiesbaden eingeleitet, der für die Schlapphüte des Rudolf Scharping (SPD) arbeitete.
Daß Steinmetz einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung des Bombenanschlags von Weiterstadt leisten könne, glauben auch die Obmänner der Fraktionen im hessischen Untersuchungsausschuß. Und weil man in Wiesbaden an den V-Mann nicht herankommt, sollen demnächst die Dienstherren von Steinmetz vor dem Ausschuß aussagen – Ministerpräsident Rudolf Scharping und sein Innenminister Walter Zuber.
Im Kern geht es dem Ausschuß dabei um die Abklärung der noch immer offenen Frage, ob Steinmetz seine verbeamteten Brötchengeber vor dem Anschlag auf den Knastneubau warnte – oder eben nicht, wie Innenminister Zuber nach wie vor behauptet. Nach langem Tauziehen zwischen Mainz und Wiesbaden erklärte Scharping seine Bereitschaft, dem Votum der Vertreter aller Fraktionen im Untersuchungsausschuß Folge zu leisten. Dagegen verweigert Innenminister Zuber dem Ausschuß nach wie vor den Einblick in die Verfassungsschutzakte von Steinmetz.
Dafür dürfen sich die Ausschußmitglieder demnächst mit den Steinmetz-Vernehmungsprotokollen der BAW beschäftigen. Die hatte der Ausschußvorsitzende Kurt Weidemann (SPD) im Mai 1994 in Karlsruhe angefordert – und auch erhalten. Doch Weidemann „saß wochenlang auf den Protokollen“ (CDU), um sie dann schlicht zu vergessen. Während der letzten Ausschußsitzung im Juli 1994 mahnten die Obmänner der Union erneut die Vorlage der Protokolle an. Der Ausschußvorsitzende aber machte die Bundesanwaltschaft für die Verzögerung verantwortlich. Daraufhin forderte der CDU-Obmann Roland Rösler Weidemanns Rücktritt. Dem war dann schnell wieder eingefallen, daß er die Vernehmungsprotokolle aus Karlsruhe doch schon erhalten und seiner Sekretärin zur Verwahrung übergeben habe. Die Unionisten sprangen erneut im Quadrat. „Verschwundene“ Geheimakten in den Händen einer Sekretärin? Rösler: „Es ist für uns nicht erkennbar, wie die anstehenden schwierigen Gespräche mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung unter dem Vorsitz eines Ausschußvorsitzenden gestaltet werden sollen, der den Überblick über wichtige Verhandlungsgegenstände verloren und Akten den Verfahrensregeln des Untersuchungsausschusses widersprechend verwahrt hat.“
Und Weidemann steht schon neuer Ärger ins Haus. Weil Scharping – ohne Alternativtermine zu benennen – den Vernehmungstermin 1. September schlicht absagte, witterte die Union „neue Tricksereien“. Und Weidemann, so die CDU am vergangenen Freitag, habe sich auf dieses „Spielchen“ eingelassen: „gezielte Verschleppung“. Daß die Befragung von Scharping – wohl erst nach der Bundestagswahl – mehr Licht in das Dunkel um die Frage nach der Tatbeteiligung von Steinmetz und die Rolle des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes bringen wird, bezweifeln selbst die CDUler, die von Anfang an – aus politischen Gründen – auf die Vernehmung von Scharping und Zuber drängten.
Der „Angriff auf die Menschenwürde“ (SPD/Hessen) der RAF in Weiterstadt wird den Steuerzahler einige Millionen Mark für den Wiederaufbau und die Erstattung von Sitzungsgeldern für die Mitglieder des U-Ausschusses kosten. BAW und BKA werden weiter ihre historisch gewachsenen Divergenzen pflegen und V-Mann Klaus Steinmetz ein mit neuen Papieren ausgestatteter Weltbürger bleiben. Außer Spesen nix gewesen? Doch! Immerhin wird das Bauhandwerk in Südhessen durch die doppelte Auftragsvergabe doppelt verdienen können.
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