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Richter distanzieren sich vom Deckert-Urteil

■ Mannheimer Kollegium tagte / Der Vorsitzende Richter Wolfgang Müller stellt sich eine Ehrenbezeugung aus / Neues Verfahren gegen Deckert verschoben

Berlin (taz/AFP/dpa) – Die 64 Richter des Landgerichts Mannheim haben sich gestern abend von der umstrittenen Urteilsbegründung im Fall des NPD-Vorsitzenden Günter Deckert distanziert. Dies gelte, soweit die Urteilsgründe „den Eindruck erwecken, daß rechtsextremes und antijüdisches Gedankengut gebilligt wird“, erklärte die Richterversammlung nach einer Mitteilung des Landgerichts.

Die Richterversammlung „verwahrte“ sich zugleich „gegen alle Angriffe auf die richterliche Unabhängigkeit“. Sie schlossen sich einem Schreiben des Gerichtspräsidenten vom 11. August an, in dem er die jüdische Gemeinde Mannheims stellvertretend für alle jüdischen Bürger „um Entschuldigung und Nachsicht“ gebeten hatte. Allerdings hat weder das Richterkollegium noch das Präsidium des Landgerichts, das gleichzeitig tagte, die Kompetenz, den Richter disziplinarisch zu belangen.

Zuvor war bereits ein erneutes Verfahren gegen Deckert auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Am kommenden Freitag hätte sich Deckert in einer Berufungsverhandlung unter anderem wegen Beleidigung verantworten sollen. Er hatte ein Mitglied des „Antifaschistischen Aktionsbündnisses Weinheim“ als „Altkommunisten im Sinne des Massenmörders Stalin“ bezeichnet. Der Mann hatte eine Materialsammlung über den „geistigen Brandstifter“ Deckert verfaßt.

Aus Kreisen des Landgerichts Mannheim war gestern zu hören, daß die für den Fall zuständige Strafkammer wegen des Urteils ihrer Richterkollegen vom 6. Strafsenat eine Belastung der Verhandlungsatmosphäre befürchtet. Der Termin wurde ins kommende Jahr verschoben, „aus dienstlichen Gründen“, wie es offiziell hieß.

Unterdessen ließ gestern der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer, Wolfgang Müller, verbreiten, er bedaure „zutiefst die weltweite Erregung“, die das Urteil hervorgerufen habe. Er habe dem „Angeklagten wegen der von manchen Seiten zum Teil massiven öffentlichen Vorverurteilungen ein dem Rechtsstaat angemessenes Verfahren von höchstmöglicher Objektivität gewährleisten“ wollen, „um zu einem gerechten Urteil zu gelangen“.

Derweil versucht die NPD gutes Geld aus der Aufregung um das Deckert-Urteil zu schlagen. Zum Preis von 25 Mark (inklusive Porto und Versand) bietet sie die schriftliche Urteilsbegründung zum Kauf an. Eilige Pressevertreter können sich bei einer Pressekonferenz einkaufen. Der NPD-Vorsitzende bietet Fotojournalisten sein Konterfei für läppische 250 Märker an. roga

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