piwik no script img

Ein Spekulant ist doch ein Spekulant

■ Oberlandesgericht hebt Urteil gegen Ex-GALier wegen „übler Nachrede“ auf

Späte Rehabilitierung für den Ex-GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Michael Herrmann. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hat in einer „Sprungrevision“ ein Urteil des Amtsgerichts aufgehoben, das Herrmann zu 2400 Mark Geldstrafe verdonnert hatte, weil er den Immobilienbesitzer und Architekten Mario Bloem als „Spekulanten“ bezeichnet hatte.

Der Konflikt war im Mai 1992 eskaliert. Bloem hatte den MieterInnen seines Hauses Marktstraße 144 mitgeteilt, daß er modernisieren wolle. Die beunruhigten MieterInnen informierten „Karo-Viertel-Papa“ Herrmann, und der schritt in den Abendstunden des 29. Mai zur Tat: Mit weißer Farbe pinselte er vor dem Bloemschen Grundstück auf den Gehweg: „Hier spekuliert Herr Bloem.“ Der Architekt, der nach eigenen Angaben nur die Wohnqualität verbessern möchte, erstattete Anzeige – Herrmann wanderte vor den Kadi.

Das Amtsgericht sah in Herrmanns Graffiti eine böse Tat: Üble Nachrede, zudem sei die Pinselei eine Sachbeschädigung. Urteil: 2400 Mark Geldstrafe. Herrmanns Anwalt Manfred Getzmann wertete das Urteil als so skandalös, daß er gar nicht erst beim Landgericht Berufung einlegte, sondern gleich in „Sprungrevision“ das Oberlandesgericht anrief.

Und dieses Gericht – wie auch die Staatsanwaltschaft – kam jetzt zu einem ganz anderen Ergebnis und stellte das Verfahren auf Kosten der Staatskasse ein: „,Hier spekuliert Herr Bloem' stellt keine Formalbeleidigung dar, die einen ehrverletzenden Angriff auf die menschliche und soziale Würde eines anderen enthält“, so die Begründung. „Spekulation ist, ohne daß sie in Beziehung zu einem konkreten Lebenssachverhalt gesetzt wird, zunächst wertneutral.“

Und dann wird's interessant: „Es handelt sich vielmehr nach den von den Beteiligten im weitesten Sinne verstandenen Sinneszusammenhang um eine Tatsachenbehauptung“, so die Begründung weiter, „mit der der Angeklagte dem Zeugen Bloem vorwirft, durch eine nur durch Gewinnstreben geprägte Einstellung beim Kauf zahlreicher Grundstücke im Karolinenviertel die soziale Bindung des Eigentums zum Nachteil finanziell schwacher Mieter zu mißachten.“ Selbst das Amtsgericht sei von der „Richtigkeit der Tatsache“ ausgegangen, auf die Herrmann den Vorwurf der „Grundstücksspekulation“ stütze.

Daß Herrmann nicht ganz so verkehrt gelegen hat, zeigte der Lauf der Zeit. Bloem hat inzwischen seinen Mietern konkrete Modernisierungsmaßnahmen aufgelistet – nicht ohne zugleich die Kostenrechnung dabei zu legen. So soll sich die Miete durchgängig um 10,89 Mark pro Quadratmeter verteuern. Beispiel: Zahlte eine Mieterin bislang 6,34 Mark pro Quadratmeter, soll sie nun 17,23 Mark berappen. Das Gros der Altmieter ist daher bereits ausgezogen. Anwalt Jürgen Twisselmann von „Mieter helfen Mietern“: „Das Haus fällt wirklich bald auseinander, da ist eine Instandsetzung bitter nötig. Doch was Bloem plant, mag zwar für ihn als Architekt gut sein, aber nicht für den Stadtteil und die Mieter.“ Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen