: Radio Bremens Karnickelstall
■ Seit 20 Jahren verquatscht die Talkshow „III nach 9“ den Freitagabend
Alte Hasen sind sie: Giovanni di Lorenzo spielt den Charmeur und Mutters Traum vom Schwiegersohn und Juliane Bartel läßt über all den Kindereien eine ordnende Hand walten. Radio Bremens Talkshow „Drei nach Neun“ feiert heute seinen zwanzigsten Geburtstag.
Die allererste Sendung war am 19. November 1974 über den Sender gegangen. Deutschlands erste Talkshow. Damals ließ sich allerdings weder der Dauererfolg ahnen, noch läßt sich heute die Aufregung über das Novum Live-Talk nachvollziehen. Verschnarcht und vermufft kam die ganze Veranstaltung daher, findet auch Wolf Neubauer, der seit 1979 Redakteur im „Drei nach Neun“-Team ist.
Den damaligen ModeratorInnen Marianne Koch, Wolfgang Menge und Gert von Paczensky scheint noch nicht ganz wohl in ihrer Haut gewesen zu sein. Kratzig wie das Konzept auch die Ausstattung des Studios. Und die Rollenverteilung war klassisch, 70er Jahre. Marianne plauderte, Wolfgang analysierte.
Dennoch, die Sendung wurde zum Dauerrenner auf deutschen Kanälen. Und sie produzierte Nachfahren wie eine Karnickelfamilie. An die sechzig Talkshows und verwandte Quatschsendungen hat Redakteur Wolf Neubauer gezählt. Den Fernsehleuten kann dieser Boom von Wortsendungen nur recht sein. Schließlich kostet die durchschnittliche Herstellung von Unterhaltungssendung zehnmal und die Sportübertragung gar fünfzehnmal soviel. Rolf Neubauer: „Der Minutenpreis der Talkshow liegt unter dem der Wetterkarte.“
In den Kindertagen von „Drei nach Neun“ tröstete uns noch die ungebrochene Weiblichkeit der Marianne Koch. Bekannt war das umlockte Gesicht der Medizin-Studentin seit der „Ado-Gardine mit der Goldkante“ und dem Heimatfilm im Vorabendprogramm. Heute, wo sich Erotik vor der Kamera auf MTV-Teenies und die Glücksfee von „Wünsch Dir was“ reduziert, sind das Erinnerungen an ein anderes Medienzeitalter.
Mit den Jahren hat „Drei nach Neun“ da seine ganz eigene Kombination entwickelt. Schließlich ist es dem JournalistInnen-Paar Juliane Bartel und Giovanni di Lorenzo gelungen, die geschlechstsspezifischen Klischees von weiblichem Gefühl und männlichem Kopf im deutschen Fernsehen aufzulösen. Hier ist er der Erotiker, kitzelt die Bekenntnisse aus den Leuten nur so raus, während mancher Gast Julianes scharfe Zunge eher zu fürchten scheint. Auch die Zuschauerreaktion trägt dem Wandel Rechnung. Die Fanpost, mit der Schulmädchen in runder Handschrift um Autogramme bitten, türmt sich vorzugsweise auf dem Schreibtisch von Giovanni di Lorenzo.
Funktionieren tut das Ganze eigentlich wie eine Essenseinladung oder früher der großbürgerliche Salon. Welche Gäste nehmen an der Tafel Platz? Mit welchen Tischnachbarn werden sie kombiniert? Und vor allen Dingen, welche Chance zum Gespräch entstehen in der Runde? Um das im Voraus zu imaginieren und wie ein guter Gastgeber anregende Tischrunden zusammenzustellen, hilft nur eins: man muß die Gäste so gut wie möglich kennen. Hat er seine Eingeladenen noch nie erlebt, oder wenigstens bei KollegInnen vor der Kamera gesehen, setzt sich Wolf Neubauer in den Flieger und besucht den zukünftigen Live-Talker. Für die letzten Sendungen besuchte er den Millionär Hasso von Schützendorf auf Mallorca und den Ex-Grünen und stellvertretenden Landrat Udo Knapp auf Usedom.
Bei Erich Böhmes „Talk im Turm“ hält ein brennend aktuelles Thema notfalls noch die Runde inhaltlich zusammen. In Bremen setzt man voll auf die Prominen und die richtige Mischung derselben und darauf, daß Giovanni oder Juliane die Gäste richtig antalken werden. Hat es mal nicht geklappt, heißt es bei der internen Redak-tionskritik am Montag zwischen den ModeratorInnen schonmal “Tja, hättste den mal mir gegeben.“
Susanne Raubold
Fans können heute abend nochmal „The Best of Drei nach neun“ aus 20 Jahren Talk-Geschichte erleben. 20 Gespräche aus Zwei Jahrzehnten sollen beweisen, daß „Drei nach Neun“ immer nah am Puls der Zeit war. Wie immer um 22.00 Uhr, natürlich auf N3.
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