: Urteilsbegründung im Fall Deckert
■ betr.: „In Zukunft ausgeschlos sen?“ u.a., taz vom 12. 8.94
Große Teile der deutschen Justiz leiden auf dem rechten Auge an einer Art „braunem Star“. Dies ist eine Sache. Eine andere ist die richterliche Unabhängigkeit, unabdingbar für jede Demokratie.
Daher wäre es verfehlt, faschistoides Gedankengut mit Strafandrohungen aus Gerichtsurteilen fernhalten zu wollen.
Richtiger Ansatzpunkt, die Sehschwäche zu bekämpfen, sind vielmehr die Unis, in denen eine Unmenge über kürzeste Studienzeiten, aber wenig über Demokratie und Freiheit nachgedacht wird. Dort wird lieber dem Gewäsch der Burschenschaftler gelauscht als den Nachfahren von Maunz und Co. der wissenschaftliche Kampf angesagt. Nur wenn hier der rechten Pest, gerade auch durch klares Auftreten der HochschullehrerInnen, entgegengetreten wird, kann ein solches Urteil wie im Fall Deckert in Zukunft ausgeschlossen werden. Carsten Schütz, Reichenberg
Ich verlange, daß der Vorsitzende Richter Wolfgang Müller kein Urteil mehr „im Namen des Volkes“ sprechen darf, da das Wissen und Gewissen dieses Richters dem des rechtsextremen NPD-Chefs Günther Deckert zu entsprechen scheint.
Ein demokratischer Rechtsstaat muß auf Richter mit einer Nazigesinnung verzichten. Jürgen Korell,
Vorstandsmitglied der BAG
Kritischer PolizistInnen
Die Begründung des Urteils gegen den NPD-Vorsitzenden Deckert ist eine schwere Hypothek nicht nur für die Justiz in diesem Staat. [...] Der Blick ist darauf zu richten, daß die Entscheidungen der Strafgerichtsbarkeit immer auch als Gradmesser dafür anzusehen sind, in welcher „Verfassung“ sich Staat und Gesellschaft befinden.
Es vergeht fast kein Tag, ohne daß nicht irgendwo in unserer Republik Ausländer überfallen oder jüdische Gedenkstätten geschändet werden. Hakenkreuzschmierereien sind inzwischen aus dem Bild vieler deutscher Städte nicht mehr wegzudenken. Die geistigen Brandstifter dieser Taten, diejenigen also, die mit Energie und Vorsätzlichkeit das dumm-rassistische Gedankengut wieder hoffähig machten und Fremdenhaß schürten, sitzen in fast allen demokratischen Parteien, man erinnere sich nur an die unsägliche Asyldebatte, und letztendlich auch in den Medien. Jeder, der jetzt Urteilsschelte betreibt, sollte sich selbst prüfen, inwieweit er Mitverantwortung dafür trägt, daß das „gesunde Volksempfinden“ wieder als Begründung dient, um faschistoide Propaganda und Geschichtsklitterung zu rechtfertigen. Bei aller berechtigter Empörung über diese Richter kann es nicht verwundern, daß auch innerhalb der Judikative die ewig Unbelehrbaren ihr Dasein führen. Das Akzeptieren der Last der Geschichte war noch nie eine deutsche Stärke.
Ein anderer Aspekt darf in diesem Zusammenhang nicht unter den Tisch fallen: der miserable Zustand der Juristenausbildung an den deutschen Hochschulen. Nach nahezu einem halben Jahrhundert, in dem die deutsche Justiz sich den Lehren aus ihrer Vergangenheit unter Hitler entzog, stellt sich die Frage, in welchem Zustand sich die große Maschine der Justiz gegenwärtig befindet und insbesondere, ob sie zukünftig davor gefeit ist, als Auftragsgehilfin der Politik zur fortschreitenden Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen beizutragen. [...] Thomas Schlingmann, Mitglied im Vorstand der Juso-Hochschulgruppen Bremen
Im April 1924 wurde – damals noch als „ein gewisser“ anzusprechen – Adolf Hitler wegen seines 1923 gemeinsam mit Ludendorff durchgeführten Putschversuches zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde ihm bescheinigt: „Vaterländischer Geist und edelster Wille; auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler kann nach Auffassung des Gerichts die Vorschrift des Republikschutzgesetzes keine Anwendung finden.“
Im Dezember des gleichen Jahres wurde er bereits aus der Haft entlassen, nachdem er in komfortabler Ehrenhaft Zeit und Ruhe gefunden hatte, „Mein Kampf“ zu verfassen, um darin dem deutschen Volk seine Eroberungs- und Vernichtungspläne offen und klar anzukündigen.
Haben wir es also in Mannheim einfach mit Traditionspflege zu tun? René Polo, Norderstedt
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