Lesbian chic goes Haute Couture

Jenny Shimizu – die Mechanikerin als Model. Eine Revolution in der Modebranche?  ■ Von Astrid Deuber-Mankowsky

Es ist der Blick, aber nicht nur. Dieser blau umflorte Medusenblick, die knochigen Schultern, die kurzgeschorenen und blondierten Haare, der blaß geschminkte Mund, weder lächelnd noch schmollend, energisch wirkt er, entschlossen, fast drohend, auf jeden Fall unnahbar. Jungenhaft? Männlich? Ein neuer Typ in der Haute Couture? Hat Claudia Schiffer ausgedient? Schnell umblättern. Es gibt sie noch, die weichen, weiblichen Formen, die roten, sich anbietenden Lippen, die romantischen und eleganten, kurzen und langen Kleider, der weibliche Typ ist keinesfalls out. Aber irgendwie alt. Allzu bekannt. Haut einen nicht um. Nicht wie dieser dünne, lange, in kurze Jacke und enge Hose gekleidete vierfach tätowierte Frauenkörper.

„Schärfer als Schiffer“ betitelte die Zeitschrift Wiener ihre Story über die neuen Supermodels. Jenny Shimizu heißt die Begehrteste, eine Automechanikerin aus Los Angeles, Lesbe. Mit dem bereits bekannten, undurchdringlichen Blick ist sie auf dem Titelblatt präsent. Blaß gemalter Mund, kurzgeschorene – schwarze – Haare, die Brust schimmert unter einem schwarzen durchsichtigen Seidentop, groß im Bild der Oberarm mit Tattoo: ein kleines Pin-up-Girl, das an einem phallischen Gegenstand wie an einem Baum hochklettert – oder hängt? –, sie reitet, wie es im Text heißt, auf einem Schraubenschlüssel. Fast so groß wie das Gesicht ist diese Tätowierung. Schaut man lang genug auf das Bild, wird es zum Vexierbild, Medusenblick, unnahbarer Gesichtsausdruck mit fast ein wenig verächtlichem Zug um den Mund, Vergeltung androhend, oben – doppelt, durch Pin- up-Girl und Schraubenschlüssel, gesicherter Phallus unten. Reiner Zufall?

Die Tätowierung sei echt, heißt es hinten im Heft. Und „wenn ein Mädchen wie Jenny Karriere machen kann, ist das eine Revolution. Denn Jenny ist eine Bombe.“ Jenny bezeichnet sich selbst als „lezbopunk bike-dyke“, als „Punk-Motorrad-Lesbe“. Der Modellkarriere, heißt es, schenke sie keine große Beachtung, wenn der Spuk vorbei sei, wolle sie von dem Geld eine eigene Werkstatt aufmachen.

Noch aber reißen sich alle um sie, „Vogue zieht ihr die teuersten Kleider an, Gaultier, Calvin Klein und Versace proben den Kniefall.“ Und Jenny? „Macht nichts“, sagt sie, „der ganze Wirbel hat nichts mit mir zu tun. Dieser Gedanke macht alles erträglich.“ Das Bild ist also nicht wirklich ihr Bild – und wahrscheinlich hat sie recht. Die modische Inszenierung hat ihre eigene Gesetzmäßigkeit, zu der die „Revolution“ gehört. Während in der Gesellschaft alles beim alten bleibt, präsentiert die Mode jede Saison les Nouveautés, die letzten Neuheiten, kaschiert den Stillstand, ja vielleicht müßte man sagen, sie stellt ihn mit her, indem sie Bewegungen – dieses Frühjahr eben die lesbische – aufnimmt, integriert und neutralisiert.

„Heute ist der Körper selber in seiner Identität, in seinem Geschlecht und in seiner Haltung zum Material der Mode geworden – die Kleidung ist dabei nur noch ein Spezialfall“, schreibt Jean Baudrillard in seinem Buch „Der symbolische Tausch und der Tod“, in dem er ein ganzes Kapitel der Mode und ihrer Gesetzmäßigkeit widmet. Mit diesem Satz trifft er, was die Aufmerksamkeit in der Inszenierung des Lesbian chic fesselt. Nicht die Kleidung fängt den Blick, sondern die Inszenierung des Körpers und das, was sie andeutet: die Frau, die den Tod bringt, die den Phallus hat, die sich in den Mann verwandelt. Die lesbische Frau, die sich aus dem Geschlechtervertrag verabschiedet hat. Das Wesen, das unbestimmbar ist, Mann und zugleich Frau. Zur Gesetzmäßigkeit heißt es bei Baudrillard: „Sowohl in der Mode wie im Code verschwindet das Bezeichnete (das Signifikat), und der Aufmarsch des Signifikanten führt nirgendwo mehr hin. Die Unterscheidung von Bezeichnetem und Bezeichnendem, von Signifikat und Signifikant, wird genauso abgeschafft wie der Unterschied der Geschlechter; das Geschlecht geht in dinstinktive Gegensatzpaare über, und es beginnt so etwas wie ein ungeheuerlicher Fetischismus.“

Festischismus? Das könnte durchaus etwas zu tun haben mit dem, was mit Jennys Bild in der modischen Inszenierung passiert, vielleicht gar den Schlüssel liefern zu deren Verständnis. Fest steht, daß sich in der Mode auf der Ebene des Bildes, imaginativ also, Urdramatisches abspielt, daß es um Mann und (oder?) Frau geht, um Leben und (oder?) Tod, um Geschichten, um reale Geschichten, die auf der Ebene der Mode verhandelt werden. Was aber hat es mit dem Fetisch denn nun auf sich, Herr Freud? – „Um es klarer zu sagen, der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es – wir wissen warum – nicht verzichten will. Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert hat, die Tatsache seiner Wahrnehmung, daß das Weib keinen Penis besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht wahr sein, denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht, dagegen sträubt sich das Stück Narzißmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade dieses Organ ausgestattet hat. Eine ähnliche Panik wird vielleicht der Erwachsene später erleben, wenn der Schrei ausgegeben wird, Thron und Altar sind in Gefahr, und sie wird zu ähnlich unlogischen Konsequenzen führen.“

Die unlogischen Konsequenzen bestehen darin, daß die unliebsame Wahrnehmung verleugnet wird. Sie wird also, Freud betont es explizit, nicht verdrängt, sondern sie bleibt bestehen und wird zugleich dementiert; Jenny auf dem Bild wirkt wie ein Mann, aber sie ist eine Frau, sie hat keinen Penis – das Knäblein weiß es –, und doch ist einer da, auf dem Körper, als Bild, als Ersatz, deutlich, allzu deutlich in Szene gesetzt.

Weil dieses Vorgehen wahrlich unlogisch und schwer verständlich ist, soll zwecks allgemeinener Erhellung noch einmal Freud zitiert werden: „Es ist nicht richtig, daß das Kind sich nach seiner Beobachtung am Weibe den Glauben an den Phallus des Weibes unverändert gerettet hat. Es hat ihn bewahrt, aber auch aufgegeben... Ja, das Weib hat im Psychischen dennoch einen Penis, aber dieser Penis ist nicht mehr dasselbe, das er früher war. Etwas anderes ist an seine Stelle getreten, ist sozusagen zu seinem Ersatz ernannt worden und ist nun Erbe des Interesses, das sich dem früheren zugewendet hatte. Dies Interesse erfährt aber noch eine außerordentliche Steigerung, weil der Abscheu vor der Kastration sich in der Schaffung dieses Ersatzes ein Denkmal gesetzt hat.“

Die Frau hat also einen Penis, und sie hat keinen Penis, ja, insofern sie keinen hat, ist sie die Verkörperung der Kastrationsdrohung, nichts weiter. Nichts weiter? Immerhin ist sie, gerade weil sie die Kastrationsdrohung verkörpert, durchaus potent, zugleich die phallische Mutter. Und wer könnte die besser darstellen als die sich medusisch gebärdende, lesbische Frau? Aber Jenny – ist sie nicht die Verkörperung genau dieser Frau? Wäre es denn nicht doch eine Revolution, wenn eine Frau wie Jenny eine Modelkarriere macht? Was passiert mit Jennys Bild in der modischen Inszenierung?

Mode sei ein „ungeheuerlicher Fetischismus“, sagt Baudrillard. Und zwar, so führt der französische Philosoph weiter aus, geht es in dieser Inszenierung um die Entsexualisierung, um Entgeschlechtlichung des – vorzüglich – weiblichen Körpers: „Dem Modezeichen überlassen, wird der Körper sexuell entzaubert, er wird Mannequin – ein Wort, dessen Geschlechtslosigkeit sehr gut ausdrückt, was es bedeutet. Das Mannequin insgesamt wird Sex/Geschlecht, aber Sex/Geschlecht ohne Eigenschaften.“ Die Frau wird im Mannequin zum „Männchen“ und steht als solches für den Phallus, wird zum Fetisch von Kopf bis Fuß, „in dem der Mann von seinem eigenen Bild fasziniert ist“. Wofür Claudia Schiffer ein gutes Beispiel abgibt.

Aber: Wie sieht „der Mann“ das Bild von Jenny Shimizu? Stellen unsere Bilder mit den bedrohlich unnahbaren Frauen nicht doch etwas Neues dar? Anders als die üblichen Claudia-Schiffer-Bilder präsentieren sie nicht den Frauenkörper als Fetisch, sondern erzählen vielmehr, mit dem auf den Frauenkörper gezeichneten Phallusersatz, die Entstehungsgeschichte des Fetischismus. Schauen wir genauer hin. Sind es nicht Inszenierungen, so geschickt arrangiert, daß sie zugleich die Behauptung der Kastration, angedeutet im medusenhaften, undurchdringlichen Blick, den kurzen Haaren, und zugleich ihre Negation in den Tätowierungen darstellen? Und damit die dramatische Urszene der Mannwerdung heraufbeschwören, jenen Kastrationsschreck, der, so Freud, „wahrscheinlich keinem männlichen Wesen erspart bleibt“.

Die Mode hat auf den Vormarsch der Lesben reagiert. Kaum traten sie mit einem eigenen Lifestyle an die Öffentlichkeit, griff auch die Schnittmusterbranche zu. Lesbian chic ist in. Zugleich jedoch wird der „Skandal“ in der Präsentation gebannt. „Aber Vorsicht“, warnt denn auch Baudrillard die Frauen, „es handelt sich dabei weder um einen Fortschritt noch um eine Befreiung.“

So bleibt nur noch die Frage: Was passiert, wenn „die Frau“ Jennys Bild sieht? Oder gar viele Frauen, Heteras und Lesben? – Und was passiert, wenn sie Dinge machen – wir wissen warum –, die weder beschreibbar noch vorwegnehmbar sind?

Astrid Deuber-Mankowsky ist Kulturredakteurin der Züricher Wochenzeitung