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Ein Schuß Copacabana mit paniertem Frischfleisch

Beachvolleyball „echt geil“: Hauptsache Sand, Hauptsache prima Po und das Geld verdient zwischen Liegestuhl und Badelaken  ■ Aus Timmendorf Michael Schophaus

O Mann, wirken die lässig, braun, eingebildet und so knackig, daß ihnen fast die Hosen reißen. Die Muskeln spannen sich bei jedem Sprung, der Sommer spiegelt sich in ihren Brillen, und wenn sie sich gar schwitzend auf den Boden schmeißen, sehen sie danach wie wunderbar paniertes Frischfleisch aus. Beachvolleyballer. So richtig schön Klischee.

Ein never-ending Trip von Urlaub

Sie haben's ja auch einfach drauf. Zeigen sich süchtig nach Sonne, Leben, Sport und der einzige Stoff, den sie brauchen, ist der Sand. Gefallen sich in ihrer Abhängigkeit, und nirgendwo sonst wohl gibt es Junkies, denen es besser geht. So ein bißchen Trip von Urlaub, der nie endet, und ohne Hoffnung auf Entzug. „Echt geil“, läßt also Hauke Braack, einer der besten deutschen Spieler, äußerst abgebrüht verlauten, „so zwischen Liegestuhl und Badelaken sein Geld zu verdienen.“

Denn wenn es warm wird, hüpfen, pritschen, buddeln und baggern sie überall herum. Zwei gegen zwei im knöcheltiefen Sand. An der Ostsee, an der Nordsee, auf Fehmarn oder Wangerooge, und sogar mitten in den Städten zeigen sie ihre begnadeten Körper. Lassen sie sich ihren Strand tonnenweise vom Lastwagen auf den Marktplatz von Husum kippen, in die Frankfurter Altstadt oder, wie beim ersten großen Meeting in Berlin, vor die Tore des Olympiastadions. Für einen Platz am Ufer des Wannsees hatte es keine Genehmigung der Umweltbehörde gegeben.

Sand als Therapeutikum gegen Bohnerwachs

Hauptsache Sand, weicher, weißer Sand. Hauptsache Lifestyle. Hauptsache pralles Leben. Hauptsache prima Po. Ein Schuß Copacabana vielleicht in der Fußgängerzone von Wanne-Eickel, ein bißchen Bodies gucken und darüber eigene Krampfäderchen und Cellulite vergessen, und gelegentlich streut man die kleinen Körnchen bereits auf die Böden irgendwelcher Hallen, um den Mief von Bohnerwachs und Langeweile zuzuschütten.

In Brasilien und, wo sonst, in Kalifornien fing alles an. Dort tauchten schon früh die ersten Sunnyboys an den heißen Stränden auf, die ihr breites Kreuz spazieren führten und vom Wetten lebten beim Volleyballspiel. Arbeitslose, Müßiggänger und Verrückte, die ihren Zeitvertreib jedoch so perfektionierten, daß bald Zuschauermassen auf die Tribünen strömten und reichlich Geld floß im Kampf über das Netz.

Auch in Deutschland traf man damit den Nerv der Zeit. Leicht beschürzte Damen und Herren spielen im Sand, die selbst noch beim Sprung von einer Klippe eine gute Figur machen würden, und so wurden sie natürlich längst von der Werbung vereinnahmt.

Eiskrem, Badehosen, Bermudas und Getränke, eben alles, was man so braucht für ein paar gute Stunden auf dem Handtuch. Der größte Sponsor kommt aus den USA, ein Eisteeproduzent namens Liptonice, Geschmacksrichtung naja, aber sehr großzügig mit bisher über einer halben Million Mark, um den deutschen Beachern auf die Beine zu helfen.

Was auch nötig war, nachdem man merkte, daß Timmendorf kein São Paulo ist und Haffkrug kein Palm Springs. Während nämlich das Strandspiel in seinen Ursprungsländern wahre Höhenflüge erlebte, schien der Sport hierzulande bald wieder im Sande zu verlaufen. So nach dem Motto Eins- zwei-drei-wer-hat-den-Ball, und nur ein paar gelangweilte Kurgäste gucken zu. „Die hielten uns für reichlich abgedreht“, erinnert sich Frank Mackerodt, Hamburger Volleyball-Legende, und heute mit der Agentur MNP für die Organisation der Beachturniere zuständig. „Viele meinten bestimmt, wir konnten die Hitze nicht vertragen.“

Die Eisteefirma half. Witterte die Chance, ihren Umsatz auch in Deutschland anzuheizen, indem die Werbewände ihren Namen trugen und die coolen Spieler ihre coolen Dosen. Mit Liptonice jedenfalls startete man 1993 die Beach Masters, eine Reihe von einigermaßen professionell geführten Veranstaltungen, die fast 90.000 Menschen an die Netze lockten. Die Qualifikationen wurden verschärft, die Preisgelder auf insgesamt über 100.000 Mark erhöht, und der kühle Drink war plötzlich in aller Munde, „obwohl wir das süße Zeug kaum runterkriegen“, wie einige der jungen Hüpfer klagen, die lieber nicht genannt werden wollen.

Schließlich gibt es ja nun ein paar Mark. Zwar lange nicht soviel wie in Amerika, wo man auch nicht mehr wie früher um ein Sixpack Bier mit Abendessen spielt, und Spitzenstars wie Karch Kiraly für ihre gute Farbe jährlich 1,5 Millionen Dollar bekommen. Doch immerhin reichen die „leistungsbezogenen Aufwandsentschädigungen“ mittlerweile zumindest für die ersten Plätze eines 10.000-Mark-Turniers, um nicht draufzahlen zu müssen bei Anfahrt, Übernachtung und Verpflegung.

Reich kann sowieso keiner werden, und so kehren die meisten im Herbst in die Turnhallen ihrer Bundesligamannschaften zurück. Außerdem hatte der Deutsche Volleyballverband lange Zeit so seine Schwierigkeiten, die ersten Spielchen am Gestade ernst zu nehmen, und hielt sich mit finanziellen Zusagen eher zurück. „Wir konnten ja nicht ahnen, daß dieser Sport olympisch wird“, räumt Präsidiumsmitglied Harald Schäfer ein.

Wurde er aber, Herr Schäfer, und so halsüberkopf wie kein Sport jemals zuvor. Denn Austragungsort der nächsten Spiele ist Atlanta, Hauptsitz von Coca-Cola, einem wichtigen Förderer der amerikanischen Beacher-Szene. Strand, Sport, Durst und mach mal Pause. Wie geschaffen für das klebrige Gesöff. Zusätzlich ist Einschaltquote angesagt, da alle großen US-Sender ständig live und werbeträchtig aufgemotzt berichten. Also, sprach IOC-Chef Samaranch, nachdem er höchstselbst über eine eigens ihm gebaute Brücke an den Sand von Rio schritt und kurz bei einem Spiel verweilte, es werde und es ward olympisch. Money makes the ball go round.

Nun mußte alles schnell gehen. Der Verband läßt 80.000 Mark springen, ein Vermögen geradezu für seine biederen Verhältnisse, um ein Nationenteam zu bilden aus den deutschen Meistern Jörg Ahmann/Axel Hager und Beate Paetow/Cordula Borger, und deren Reisen um die Welt zu finanzieren. Die Sporthilfe hilft, Fachgremien werden gebildet, und mit Burkhard Sude ein Spitzenspieler zum Bundestrainer ernannt, der stark genug wäre, sich selbst für Schwarzrotgold aufs weiche Feld zu stellen.

Oh, ja, sagen die Herren Hager und Ahmann, knatschbraun und überlegen und unterm Dach im Winter eher Mittelmaß in der Bundesliga, es wäre eine große Ehre, sich bei Olympia fürs Vaterland in den Sand zu werfen. Dafür investieren sie schließlich Zeit und Studium, und während andere wohlverdient nach Mallorca in die Ferien dürfen, grabbeln sie solange schweißtreibend in Puerto Rico, Miami oder sonstwo herum, bis sie die Punkte für die Qualifikation zum hehren Fest der Jugend, und obendrein bald keine Lust mehr auf barfuß oder Badehose haben.

Aber kein Mitleid, liebe Jungs und Mädchen. Sie haben stets bezahlten Urlaub, verdienen mittlerweile gutes Geld, am Rande ihrer Felder klimpern ihnen generationenübergreifend die Zuneigungen aller Zuschauer entgegen, und daß sie vermutlich noch nicht einmal die Muße finden werden, am nächsten Wochenende in Timmendorf ganz ordentliche deutsche Meister zu werden, weil sie zur gleichen Zeit im Flieger sitzen, trifft keinen und erst recht nicht die Gegner.

„Was wir machen, kommt einfach gut“, sagt Axel Hager, der schöne, blonde Riese aus Bad Oldesloe, „und im Grunde wollen alle Leute bloß ein wenig Fun haben, an dem, was wir tun. Die meisten schauen erst zu und spielen dann selbst.“

Schöne Ferien! Wir haben es uns verdient.

P.S.: Wirklich? Man stelle sich nur einmal Señor Samaranch in kurzen Hosen vor.

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