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Verkettung des Sichbetrillerns

Edelkitsch: Über „Wohnen Dämmern Lügen“, dem neuen Buch von Botho Strauß, verwandelt sich die Miene des Rezensenten in eine „Zwetschge der Untröstlichkeit“, und der Himmel wird „schwarz wie der edelste Rappe“  ■ Von Gerhard Henschel

Eine Kamera dringt in die intimste Abgeschiedenheit eines Menschen und zeigt uns den Rezensenten. Er sitzt in einem halbrunden, armlosen Ledersessel, und beugt, krümmt sich über das neue Buch von Botho Strauß, „Wohnen Dämmern Lügen“. Es folgt die sehr nahe Aufnahme der Miene des Rezensenten. Grimasse der Skepsis, Randanstrich, einsetzende Verdüsterung.

Weshalb hat er sich das angetan? Es war doch abzusehen, daß es auch in diesem Buch um nichts Geringeres gehen werde als um „Epochenbruch und Ärasturz“, die Botho Strauß persönlich auf die „Tagesordnung des Ewigen“ gesetzt hat, ohne uns die „Schlinge des Erbarmens“ zu gewähren, so daß die störende, von Botho Strauß analysierte „Verkettung des Sichbetrillerns“ kein Ende nimmt.

Der Rezensent schneidet Grimassen. Seufzt. Liest weiter. Wir sehen sein „zusammengestürztes Gesicht, Zwetschge der Untröstlichkeit“ (Botho Strauß). „Das Gesicht grau wie gestorbene Baumrinde“ (Botho Strauß), schnauft er verdrossen. „Er liest zusehends zaghafter, liest kleinlaut, verschmälert und krümmt sich zwischen Hals und Knie“ (Botho Strauß). Wird ihm schlecht? Kommt es zu einer „Urflutszene“ (Botho Strauß) mitsamt Epochenbruch und Ärasturz?

Da, „ach“ (Botho Strauß), sinkt der Rezensent in den Sessel zurück, „von ganzem Wesen Urteil und Strafe hinnehmend“ (Botho Strauß), „den Blick kahl nach innen gewandt, auf den Schmerz, das Malheur“ (Botho Strauß), und eine Frage, die Botho Strauß uns gestellt hat, steht ungewaschen im Raum: „Welchen Hof, welchen Beiklang, welche Urweise, welch verschollenen Ruf streift das Wort?“

Möglicherweise streift es auch die Grenze des Kokolores, wenn Botho Strauß eine seiner schwergewichtigen, intergalaktischen, hochbedeutsamen Behauptungen aufstellt: „Aus Myriaden von Galaxien sieht uns ein Kinderkopf mit weltenleeren Augen an.“ Kuckuck!

So kommen die Sätze auf Stelzen daher („Der Himmel war schwarz wie der edelste Rappe“), und die Menschen keuchen freudig, denn der Besitz von Büchern eines Dichters, der in einem einzigen gestelzten Satz Myriaden von Galaxien zu durchmessen vermag, ist „ihres Fleisches fleischlichstes Verlangen“ (Botho Strauß). Was für ein Gedränge! „Jeder ist tausend anderer Durchhaus.“

Der Rezensent aber bricht die Lektüre lieber ab und faßt sich kurz: der kosmische Edelrappenkitsch ist so ungenießbar wie die Zwetschge der Untröstlichkeit.

Botho Strauß: „Wohnen Dämmern Lügen“. Carl Hanser Verlag, geb., 203 Seiten, 29,80 DM.

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