: Nachteil: knittrige Haut
■ Bremer Vegetarier-Forscher: VegetarierInnen leben wesentlich länger
VegetarierInnen sehen oft gar nicht gesund aus, sondern richtig knitterig, spotten FleischesserInnen gerne. Und unter Vegetarismus-ForscherInnen geht dieser Flachs um: „Vegetarier werden gar nicht älter, die sehen nur älter aus.“ Bloßer Neid? Nein, sagt Professor Rainer Frentzel-Beyme vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS), an dem Vorurteil sei was dran: VegetarierInnen hätten tatsächlich eine etwa unelastischere Haut und sähen dadurch häufig etwas faltiger aus als gleichaltrige FleischesserInnen. Ursache: In Pflanzen ist kein Collagen.
Der Professor muß es wissen, arbeitet er doch seit 1978 an einer Langzeitstudie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg mit. Diese Studie will herausfinden, ob Vegetarismus die Krebshäufigkeit als Todesursache senkt. Alle paar Jahre werden 1.900 Menschen befragt, von denen 1.100 steng vegetarisch leben (nur Gemüse und Getreide bzw. auch Milch und Eier) und 800 weniger streng (gelegentlich Fisch oder auch Fleisch). Jetzt berichtete Frentzel-Beyme auf dem Vegetarier-Weltkongreß in Den Haag über die bisherigen Ergebnisse.
VegetarierInnen sterben zwar auch irgendwann, im Schnitt aber später als regelmäßig Fleisch Essende. 1989, also elf Jahre nach der ersten Befragung, waren nur halb soviel VegetarierInnen verstorben wie in der Vergleichsgruppe. Das Risiko, zum Beispiel an Herzinfarkt zu sterben, liegt bei den VegetarierInnen 80 Prozent niedriger. Wegen des geringeren Fettverzehrs (Cholesterin!) haben ihre Herzkranzgefäße dünnere Wände. Außerdem sind die „Blutfließeigenschaften“ günstiger, weil weniger Fett im Blut mitschwimmt. Gemäßigte VegetarierInnen leben übrigens noch gesünder als streng vegetan Essende.
Voraussetzung für die längere Lebenserwartung ist allerdings, daß man beizeiten mit dem Vegetarismus beginnt: Wer todkrank ist und dann erst umsteigt, könnte Schwierigkeiten haben, diese ballaststoffreiche Nahrung zu verdauen. Wer schon 20 Jahre vegetarisch lebt, ist am wenigsten krebs- oder herzinfarktgefährdet.
VegetarierInnen sind nämlich auch vor der zweithäufigsten Todesursache, dem Krebs, besser geschützt als regelmäßige FleischesserInnen: Nur halb so viele sterben zum Beispiel an Darmkrebs. Auch Krankheiten der Atemwege sind deutlich seltener. Selbst vegetarisch lebende RaucherInnen sind weniger gefährdet, an Krebs oder Herzkreislaufkrankheiten zu sterben.
Allerdings: An Hirntumoren, Hoden- und Magentumoren sterben genausoviele VegetarierInnen wie FleischesserInnen. Das könnte daran liegen, daß VegetarierInnen wegen des hohen Gemüseverzehrs besonders viel Nitrat aufnehmen. Und Nitrosamine haben bestimmte „Zielorgane“ – eben das Hirn, die Hoden und den Magen.
Problematisch könnte die fleischlose Ernährung für Kinder sein, sagt Rainer Frentzel-Beyme. Vegetarisch ernährte Kinder entwickelten sich langsamer. Möglicherweise, weil sie von Gemüse und Getreide schnell satt werden, dann aber nicht genügend Nährstoffe zu sich genommen haben. Der Mediziner rät, Kindern häufiger kleine Mahlzeiten anzubieten, vor allem sehr abwechslungsreiche Speisen, unbedingt Hülsenfrüchte wie Soja, auch mal Gegärtes wie Brot, und vor allem viele Nüsse.
Wer weder Milch noch Eier essen mag, sollte sich wenigstens durch Hefe das lebensnotwendige Vitamin B 12 zuführen. Und wer gelegentlich Fisch ißt, beugt auch einem möglichen Eisenmangel vor. „Es gibt aber kein festes Rezept, wieviel Fleisch man essen sollte, man sollte einfach danach gehen, was der Körper will, also Fisch essen, wenn man Lust hat und nicht, weil wieder Freitag ist.“
Das Argument, daß das menschliche Gebiß ein Fleischesser-Gebiß sei, Vegetarismus also widernatürlich, läßt Frentzel-Beyme nicht gelten: Das menschliche Gebiß sei doch eher ein Mahlgebiß. Außerdem hätten schon Menschenaffen einen viel längeren Darm als typische Fleischfresser. Zwar sei beobachtet worden, daß Gorillas gelegentlich kleine Tiere fangen, trotzdem sei das Fleisch keinesfalls die Ernährungsgrundlage. Umgerechnet fräßen die Gorillas pro Tag gerade einen Teelöffel voll Fleisch.
Der Durchschnittsdeutsche ißt übrigens im Laufe seines Lebens 5 Rinder, 28 Schweine und mindestens 200 Hühner. Immer mehr VegetarierInnen lehnen schon aus ökologischen Gründen Fleisch ab – könnten sich doch vom importierten Soja, das an die Tiere verfüttert wird, wesentlich mehr Menschen ernähren als nachher vom erzeugten Fleisch.
Überraschend ist übrigens das Ergebnis der Studie, daß VegetarierInnen auch seltener an sogenannten unnatürlichen Todesursachen wie Suiciden sterben – das hängt möglicherweise damit zusammen, daß VegetarierInnen ihr Leben insgesamt selbstbestimmter führen, also zufriedener sind. So mutmaßt die Studie, daß Vegetarismus nicht der einzige Grund für das längere Leben der untersuchten VegetarierInnen sei. Neben einer gesunden Lebensweise mit ausreichend Schlaf, Bewegung und wenig Stimulantien wie Kaffee oder Alkohol – fleischessende Mormonen haben nämlich wie VegetarierInnen eine höhere Lebenserwartung – dürfte vor allem die Selbstbestimmtheit der Lebensweise das Krebsrisiko senken: Auffällig häufig, so die ForscherInnen, hätten sich die VegetarierInnen der Studie für soziale, pflegerische oder „geistige“ Berufe entschieden.
Und nicht zuletzt: „Die Vegetarier stimulieren sich mit ihrer Geisteskraft“, beobachete Professor Frentzel-Beyme, der selbst nur fleischarm ist, auf dem Weltkongreß fasziniert: „Lebhaft sind die, fast schon aufgedreht, das scheint denen gut zu bekommen.“ Christine Christine Holch
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