: „Ein Wurm verdirbt die ganze Suppe“
Vietnamese steht wegen Mordes an Landsmann vor Gericht / Der Angeklagte und das Opfer sollen auf dem Gebiet des illegalen Zigarettenhandels rivalisierenden Banden angehört haben ■ Von Plutonia Plarre
Die vietnamesischen Zigarettenhändler sind nicht zu beneiden. Wenn sie vor den Kaufhallen und S-Bahnhöfen ihre unversteuerten Glimmstengel feilbieten, lauert überall der Feind. Entweder die Polizei macht auf sie Jagd – oder die Mafia. Und beide Gruppen sind für ihr nicht gerade zimperliches Vorgehen bekannt. Vor einer Strafkammer des Landgerichts muß sich seit gestern der 27jährige Vietnamese Trung D. wegen Mordes an einem Landsmann verantworten. Der Angeklagte und das Opfer gehörten nach Auffassung der Staatsanwaltschaft zwei um die Herrschaft auf dem Zigarettenschwarzmarkt kämpfenden vietnamesischen Banden an.
Es geschah im Mai vergangenen Jahres am hellichten Tage im Ausländerwohnheim Gehrenseestraße in Hohenschönhausen. Der 25jährige Tran N. wollte gerade mit seinem Bekannten Tyen H. wegfahren, als sie von neun Landsleuten aus dem Auto gezogen und in das Wohnheim geschleppt wurden. Einer der Männer – nach Ansicht des Staatsanwalts war es der Angeklagte – hieb auf Tran N. mit einer Axt ein. Die anderen, bis heute unbekannten Mittäter stachen im Treppenhaus mehrmals auf das Opfer ein und schlugen ihm weitere Male mit der Axt auf den Kopf. Tran N. starb am Tatort, seinem Bekannten Tyen H. gelang es, unverletzt zu entkommen.
Die Ermittlungen der Kripo verliefen zunächst im Sande. Erst im September konnte der von Zeugen als Täter beschriebene Angeklagte in dem Wohnheim verhaftet werden. Der 27jährige Mann bestreitet die Vorwürfe vehement. Er sei 1990 nach Deutschland gekommen, habe als Asylbewerber in einem Heim in Fürstenwalde gelebt und sei ab und zu nach Berlin gefahren, um seine in der Gehrenseestraße wohnende Freundin zu besuchen. Auf die Frage des Gerichts nach seinem Einkommen erklärte der Mann, der sich in dem Prozeß von drei sicherlich nicht billigen Rechtsanwälten verteidigen läßt, er lebe von Sozialhilfe. Zu dem Zeitpunkt, als der Mord geschah, habe er an einem Kiosk eine Cola getrunken und dann versucht, einen Karpfen für das Abendessen zu kaufen. Vier Landsleute könnten dies bestätigen, erklärte der Angeklagte und präsentierte dem Gericht die Namen von vier Alibizeugen.
Ob Trung D. überführt werden kann, hängt von den Aussagen der bisherigen Belastungszeugen ab. Augenzeugen gibt es nur zwei: den unverletzt gebliebenen Bekannten des Toten und einen weiteren Landsmann, der offenbar aus Angst bereits wieder nach Vietnam zurückgekehrt und damit für das Gericht unerreichbar ist. Vier weitere Zeugen sollen bekunden, daß der Angeklagte einer vietnamesischen Bande namens „Bund der Wohltätigen“ angehörte, die den Chef der Bande „Gruppe des vereinigten Nordens“ als Vergeltung für dessen Gewalttaten tötete.
Kurz nach dem Mord waren im Wohnheim Gehrenseestraße Flugblätter der beiden Banden aufgetaucht. Die Übersetzungen wurden gestern verlesen. In dem mit „Bund der Wohltätigen“ unterschriebenen Pamphlet wird die Tat an Tran N. damit gerechtfertigt, er habe Tausende von Straftaten gegen seine eigenen Landsleute begangen. Bei zahlreichen Raubzügen in Berlin, Erfurt, Dresden und anderswo habe er den Zigarettenhändlern das Geld und die Waren abgenommen und sie von ihren Verkaufsplätzen verdrängt. Auch mehrere Morde habe Tran N. auf dem Gewissen. Weil die vietnamesische Botschaft seinen Raubzügen keinen Einhalt geboten habe, hätten sie, „Die Wohltätigen“, sich entschlossen, für Ruhe zu sorgen.
In dem Gegenflugblatt bezieht „Die Gruppe des vereinigten Nordens“ Stellung. Sie bezeichnet „Die Wohltätigen“ als „Bande der Gruppe aus Nghe Tinh und Quang Binh“ und bezichtigt sie, gleichfalls Raubzüge begangen zu haben. „Diese regional-egoistischen Taten schüren den Haß zwischen den Leuten aus dem Norden und dem vierten Gebiet“, wird in dem Flugblatt mit der Zerschlagung der anderen Bande gedroht: „Die anschwellenden Gewässer lassen die Ufer bersten.“ Es existiere bereits eine Todesliste, „weil ein Wurm die ganze Suppe verdirbt“. Der Angeklagte beteuerte, er kenne beide Flugblätter nicht. Der Prozeß ist bis Ende Oktober terminiert.
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