Sanssouci: Vorschlag
■ Fjodor Dostojewskis "Der Tag, als Jesus kam" im Schlot
Jesus, ein zweites Mal auf die Erde gekommen, soll als Ketzer verbrannt werden. In einem spanischen Kerker macht ihm der Großinquisitor Vorwürfe: „Warum bist du gekommen, uns zu stören?“ Der Monolog des alten, kahlen, mächtigen Mannes über die Last der Freiheit und das Glück der Knechtschaft ist das wohl berühmteste Kapitel aus Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“.
Einen „philosophischen“ Text auf die Bühne zu bringen ist immer ein Risiko. Jürgen Eilzer als Großinquisitor und sein Regisseur Christian Bleyhoeffer teilen den Monolog in vier Teile, um mehr Bewegung ins Geschehen zu bringen. Bei jedem seiner vier Auftritte ist der Inquisitor mit neuen Insignien von Macht und Überlegenheit beladen. Zuerst tritt er seinem beharrlich schweigenden Erlöser in Stiefeln und Lederhose gegenüber, die Augen von einer Sonnenbrille beschirmt. Später trumpft er mit einem Aktenbündel auf und präsentiert sich nacheinander im Pelzmantel, einer Art Meßgewand und im Trenchcoat.
Betont lässig räkelt er sich an dem rostigen, schwarz verhängten Gerüst, hinter dem sein Gefangener steht. Er legt ihm die Bibel aus und trumpft auf: „Du hast uns die Macht gegeben, zu binden und zu lösen!“ Freilich wirkt Eilzer für diese Rolle zu jung. Und die häufigen Kostümwechsel können nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine ausladenden Gesten immer dieselben bleiben. Am besten gelingt ihm die dritte Szene, die Parodie einer Messe.
Wie kleine, klägliche Kinder seien die Menschen, sagt der Inquisitor, und die Mächtigen schenkten ihnen das ganze Glück der Kinder. Dazu versprenkelt er Weihwasser, summt eine Litanei und schüttet aus einer Plastiktüte mit dem Aufdruck „Sechsämtertropfen“ Kerzen und Teelichter auf die Bühne. Durch die Brandschutzbestimmungen sind der fröhlichen Pyromanie aber enge Grenzen gesteckt; so daß am Ende doch alles in einem blauen Plastikeimer ausbrennt.
Auf die lange, kluge Beweisführung des Großinquisitors antwortet Jesus mit keinem Wort, bloß mit einem leichten Kuß auf die Lippen. In der Ein-Mann-Aufführung wird diese Geste geschickt ersetzt: Plötzlich trägt Eilzer einen roten Kußabdruck auf der Stirn. „Geh! Geh! Kehre nie wieder!“ ruft er aus und läßt Jesus frei. Ein Teil des Monologs wird noch hinter dieses Ende gezogen. So wird stärker betont, daß der Großinquisitor, wenn auch zweifelnd, bei seiner Überzeugung bleibt. Die letzte Szene aber einfach als Volksrede von Notizzetteln abzulesen, zeigt doch sehr wenig Phantasie. Spannender ist es auf jeden Fall, den Text selber zu lesen. Miriam Hoffmeyer
Noch einmal heute bis zum 28.8. um 20 Uhr im Schlot, Kastanienallee 29, Prenzlauer Berg (442 76 72).
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