„Ein schwieriger und tragischer Fall“

■ In der Türkei vergewaltigt und verprügelt: Junge Türkin soll abgeschoben werden Von Kai v. Appen

Leila Erdem* fürchtet um ihr Leben. Die 22jährige, in der Türkei von ihrem Mann geschlagen, vergewaltigt und mit dem Tode bedroht, soll jetzt wieder in die Türkei zurück. Begründung: Nach dem Ausländergesetz hat die junge Frau, die elf Jahre in Deutschland lebte, ihren Aufenthaltsstatus verloren. Deutsche Freunde appellierten nun an den Petitionsausschuß der Bürgerschaft, Leila Erdem Bleiberecht zu gewähren.

Leila Erdem gehört zur sogenannten „ersten Generation von Gastarbeiterkindern“ in Deutschland. 1974 kam sie als Zweijährige mit ihren Eltern in die Bundesrepublik. Sie besuchte eine deutsche Schule in Mainz, traf sich mit ihren Freundinnen und lebte eine ganz normale Kindheit.

Leilas Leidensweg begann, als die Eltern 1985 ihr Heimatland besuchten und das Mädchen gegen seinen Willen bei einer Tante in der Türkei zurückließen. Weil die Frau arm war, verfrachtete sie Leila zu Verwandten aufs Land. Und da wurde sie mit Denkweisen aus dem vorigen Jahrhundert konfrontiert: Eine Frau dürfe nicht allein leben und auch nicht arbeiten, Leila solle heiraten. Als Kandidat bot sich Erhan Gül* an, der schon in Mainz das junge Mädchen zur Ehe versprochen haben wollte, aber von Leilas Vater abgelehnt wurde, weil Gül doppelt so alt war wie seine Tochter. Auch Leila weigerte sich. Kurz darauf wurde sie dann von Gül und dessen Verwandten entführt. Leila, die zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt war: „Sie haben mich ungefähr ein Jahr gefangen- gehalten. Erhan hat mich immer wieder vergewaltigt.“

Der Gül-Clan zwang das junge Mädchen, nach moslemischem Recht zu heiraten. Doch ihr Leben verbesserte sich nicht – auch nicht, als sie 1987 und 1989 zwei Töchter zur Welt brachte. „Erhan war wütend, daß ich ihm keine Söhne geboren hatte“, erinnert sich Leila. „Wir bekamen von ihm kaum etwas zu essen. Er sagte, wir sollten bei Nachbarn betteln gehen.“ Auch als 1991 der ersehnte Sohn zur Welt gebracht wurde, änderte sich nichts, im Gegenteil: „Erhan trank trotz seines Glaubens viel Alkohol und hat mich und die Kinder immer wieder geschlagen.“

Bei einem Saufgelage mit Freunden kam es zur Eskalation: „Bei einem Streit hat er mich so gewürgt, daß ich beinahe bewußtlos geworden bin.“ Die damals 19jährige versuchte sich mit einem Küchenmesser zu verteidigen und wurde daraufhin selbst vom Ehemann mit einem Messer und später mit Fäusten dermaßen attackiert, daß sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte.

Weil er wegen dieses Vorfalls Scherereien mit der Polizei bekommen hatte, ließ Gül seine Wut an der jungen Frau aus und drohte, sie umzubringen. Leila Erdem nahm die Drohung ernst, flüchtete mit ihren Kindern und versteckte sich in einer Sommerhütte in den Bergen, obwohl es Winter war und viel Schnee lag.

Der Bruder ihres Mannes erbarmte sich schließlich. Er verschaffte Frau Erdem ein Touristenvisum für die Bundesrepublik, so daß sie – gerade 21 Jahre alt geworden – im Januar 1993 nach Hamburg flüchten konnte. Wäre sie ein paar Monate früher gekommen, hätte sie vielleicht als eine überwiegend in Deutschland aufgewachsene junge Frau Anrecht auf einen Aufenthaltsstatus gehabt.

Doch aufgrund falscher rechtlicher Beratung stellte sie einen Asylantrag, der vom Bundesamt zur Anerkennung von Flüchtlingen prompt abgelehnt wurde. Nachvollziehbare Begründung: Es liege keine politische Verfolgung vor. „Die Hamburger Ausländerbehörde ist jetzt angehalten, die Abschiebung einzuleiten“, bestätigt Ausländerbehördensprecher Norbert Smekal: „Ein äußerst schwieriger und tragischer Fall.“

Leila Erdem hat Angst: „Wenn ich in die Türkei abgeschoben werde, findet mich Erhan und bringt mich um.“ Laut Norbert Smekal gibt es allerdings noch einen Hoffnungsschimmer. „Wir haben den Amtsarzt eingeschaltet, der ein psychologisches Gutachten erstellen wird.“ Die Diplom-Psychologin Sabine Skutta hatte unlängst festgestellt: „Meines Erachtens ist Frau Erdem im Falle einer Abschiebung im höchsten Maße suizidgefährdet. Die Gewährung eines Bleiberechts wäre dringend geboten.“ Drei Selbstmordversuche hatte Leila Erdem bereits unternommen.

Läge tatsächlich eine „akute psychische Schädigung“ aufgrund des ganzen Leidenswegs vor, würde unter „humanitären“ Gesichtspunkten entschieden, verspricht Smekal. Der Petitionsausschuß der Bürgerschaft wird sich – vielleicht schon heute – mit dem Fall befassen und entscheiden, ob ein Bleiberecht gewährt wird.

Leila Erdem hält sich derzeit mit ihren vier Kindern an einem geheimen Ort auf. Wie sie erfahren hat, hätten Freunde Güls von diesem den Auftrag bekommen, Leila zu suchen und in die Türkei zu verschleppen.

*Namen geändert