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„Ich rede und ich schreibe Fraktur“

Der Oberstudienrat Hans-Jürgen Witzsch leugnet den Holocaust, doch trotzdem darf der Pädagoge weiterhin an einer städtischen Wirtschaftsschule unterrichten  ■ Aus Nürnberg Manfred Otzelberger

Wenn jetzt im September das neue Schuljahr beginnt, wird ein Lehrer wieder ganz selbstverständlich Geschichte lehren dürfen, der seit Jahren hartnäckig Neonazi-Thesen vertritt. Ausgerechnet in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage und der Rassengesetze, unterrichtet der Oberstudienrat Hans-Jürgen Witzsch an der städtischen Wirtschaftsschule munter weiter, obwohl er die Vergasung von Juden in Auschwitz bestreitet. Vor einigen Wochen stand der 55jährige vor dem Landgericht, weil er, so die Anklage, den Juden „ihr einzigartiges und grausames Schicksal abgesprochen“ hatte. 5.000 Mark Geldstrafe kostete ihn seine Version der Leugnung des Holocaust: Die Juden wären zwar in der NS-Zeit verfolgt und auch mal erschossen worden, aber eben nicht vergast.

Der Hintergrund des Prozesses: In einem Brief an den Bayerischen Rundfunk, den der Sender an die Stadt Nürnberg und die Jüdische Gemeinde weitergegeben hatte, hatte der furchtbare Pädagoge kein Hehl aus seiner Gesinnung gemacht: „Für mich wie für viele andere Historiker steht außerhalb jedes vernünftigen Zweifels fest, daß die Behauptung von Gaskammern in der NS-Zeit als Vernichtungseinrichtungen eine Erfindung der Kriegsgreuelpropaganda ist, für die es keinerlei Sachbeweis gibt.“

Der Stadt Nürnberg ist der Holocaust-Leugner Witzsch äußerst peinlich. „Wir haben versucht, ihn loszuwerden, und ihn bereits 1981 vom Dienst suspendiert, aber das Ansbacher Verwaltungsgericht zwang uns, ihn wiedereinzustellen. Nur degradiert wurde er, vom Studiendirektor zum Oberstudienrat. Jetzt läuft ein neues Disziplinarverfahren gegen ihn. Unser Ziel bleibt es, ihn aus dem Dienst zu entfernen“, beteuert Dieter Wolz, Leiter des städtischen Schulwesens.

Der Stadtdirektor, der von Rechtsradikalen als „Judenknecht“ beschimpft wurde und Morddrohungen wegen des Vorgehens gegen den bräunlichen Pauker bekommen hat, hat zwar noch keine Beschwerden von Elternseite gehört, aber Schüler hätten ihm erzählt, daß Witzsch in der Schule „die Ungeheuerlichkeit“ besessen hat, „das KZ Theresienstadt als jüdisches Altersgetto“ zu bezeichnen. Witzsch bestätigt das auf Nachfrage: „Alte Juden sollten dort ihren Lebensabend verbringen, es bestand keine Vernichtungsabsicht.“ Darf so ein Mann noch auf Schüler losgelassen werden? Horst Guthunz, Direktor der Wirtschaftsschule, beruhigt Journalisten zwar damit, daß Witzsch nicht über die NS-Zeit unterrichtet. Der umstrittene Lehrer, der früher sogar Fachbetreuer für Geschichte war, bestreitet das allerdings: „Natürlich unterrichte ich über diese Zeit, ich habe die uneingeschränkte Unterrichtserlaubnis, aber ich verliere kein Wort über die Gaskammern und verweise die Schüler auf das, was im Lehrbuch darüber steht.“ Und was ist, wenn er Wissen gegen seine Überzeugung abfragen muß? „Kein Mensch kann mich dazu zwingen, Schüler über diesen Teilbereich zu prüfen. Ich klammere es einfach aus.“

Dem Nürnberger SPD-Stadtrat Arno Hamburger, seit 1972 Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, sträuben sich die Haare bei solchen Beschwichtigungen des Möchtegern-Märtyrers: „Witzsch lebt in einem historischen Wolkenkuckucksheim, er ist ein Alptraumtänzer, ein Pseudohistoriker.“

Vor Gericht stellte sich der Auschwitz-Leugner als verfolgte Unschuld dar. Rund zwei Stunden lang quälte der ehemalige CSU- Stadtrat, der sich gern mit Galileo Galilei vergleicht, den Richter mit seinen abwegigen Thesen, nach denen es keinerlei Beweise für die Judenvergasungen gebe. Das alles trägt Witzsch in betont seriösem Ton als „Historiker, der sich verzweifelt um die Wahrheit bemüht“ vor. Nicht nur die jüdische Gemeinde in Nürnberg hält ihn aber für einen Überzeugungstäter, der schon seit längerem NS-Verbrechen verharmlost. Worte wie „Siegerwillkür, Rachejustiz, Entartungserscheinung und Vorabverurteilung der NS-Zeit“ kommen dem Mann, der einem ominösen „Arbeitskreis für Zeitgeschichte und Politik e.V.“ vorsteht, leicht über die Lippen.

Auch Kollegenschelte verteilt der sowohl aus der CSU als auch aus der Lehrergewerkschaft GEW ausgeschlossene Pädagoge gerne: Von „ideologisch fixierten Lehrern“ würden an den Schulen „NS- Verbrechen in krassester Übertreibung dargestellt“, meint er allen Ernstes.

Abschwören will Witzsch seinen Überzeugungen auch künftig keineswegs, nur etwas leiser will er werden. An der Schreibmaschine will der 55jährige zumindest symbolisch den „Widerstand gegen den Zeitgeist“ durchhalten: Er schreibt auf einer aus der DDR importierten alten Sütterlin-Schreibmaschine. „Ich rede Fraktur und ich schreibe Fraktur. Als Nationalkonservativer mag ich diese unschuldige Schrift.“

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