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Vorderasiatische Servilität

■ Der deutsche Jugendfilm "Karakum" erzählt, etwas merkwürdig, von einer deutsch-turkmenischen Freundschaft

Karakum ist eine Salzwüste am Kaspischen Meer. „Karakum“ ist auch der Titel und Schauplatz eines Films von Arend Aghte, einer Jugendgeschichte: Roberts Vater ist Ingenieur mit Auftrag in Turkmenistan. Um ihn zu besuchen, setzt sich der schlaksige 13jährige selbstbewußt ins Flugzeug nach Aschchabad. Der weitere Weg zur Wüstenstation ist abenteuerlich: Zweieinhalb Tage Fahrt mit dem Laster liegen zwischen Robert und seinem Vater, der so beschäftigt ist, daß er seinen Sohn nicht persönlich abholen kann und statt dessen den Fahrer Pjotr schickt, der gerade eine Gasturbine zur Wüstenstation bringen muß.

Ein weiterer Mitfahrer ist Pjotrs Neffe Murad, der ebenfalls auf dem Weg zu seinem Vater ist, einem Schafhirten. Die beiden etwa gleichaltrigen Jungs können sich zunächst nur über den etwas ruppigen Pjotr, der sowohl Deutsch als auch Turkmenisch spricht, verständigen. Als Pjotr jedoch einen Umweg fährt (weil er nämlich ein Drogenkurier ist) und mitten in den unendlichen Dünen das Kühlwasser des Lasters ausgeht, sind sie bald auf sich allein gestellt. Pjotr macht sich auf die Suche nach einem Brunnen. Inzwischen kreist auch Roberts Vater mit dem Flugzeug über der Wüste, um die Vermißten zu suchen.

Als Pjotr nach zwei Tagen noch immer nicht zurück ist, machen sich Robert und Murad selbst auf den Weg. Jedoch nicht zu Fuß. Aus dem Gestänge, in dem die Gasturbine befestigt ist, einem Aluanhänger mit Rädern und der Lastwagenplane, basteln sie sich einen Windsegler, der sie über das Becken der Salzwüste zur Wasserstelle und dem verletzten Pjotr bringt. Zu allem Überfluß geraten sie dann auch noch in die Hände der Drogenhändler.

Das ist eigentlich eine spannungsgeladene Story, die von der kulturellen Annäherung zweier Jungs handeln könnte. Doch in Arend Aghtes Regie wird daraus ein klischeebeladener Film, der streckenweise durch eine sehr statische Kamera und mangelnden Musikeinsatz sogar seinen Actiongehalt verspielt. Und was das Verhältnis der beiden Jungs anbelangt, so wirkt das Ganze geradezu kolonial: Robinson Crusoe meets Freitag in der Wüste. Robert besitzt das komplette Equipment des modernen Kids: Baseballmütze und elektrische Zahnbürste. Walkman und Computerspiele. Vor allem aber verfügt er über das technische Know-how – es fließt ja schließlich Ingenieursblut in seinen Adern –, aus ein paar Stangen und einem Aluanhänger ohne großartiges Werkzeug einen funktionsträchtigen Windsegler zu basteln. Murad ist ihm ein treuer Gefährte, immer hilfsbereit, aktiv und lernfähig.

Die kulturelle Annäherung besteht darin, daß der einen guten Kopf kleinere, dunkelhäutige und schwarzhaarige Turkmene dem blonden Deutschen und seinen zivilisatorischen Errungenschaften nacheifert, deren Überlegenheit selbst in der Wüste in keinem Fall in Frage gestellt wird. Wenn Murad die digitalen Männchen auf Roberts Display nachahmt, indem er, die elektronischen Geräusche imitierend, über leere Fässer hüpft, bleibt Robert, milde lächelnd über soviel Naivität, bei seinem Computerspiel sitzen.

Murad lernt zwar eine Menge deutscher Wörter, Robert (und das deutsche Publikum mit ihm) jedoch kein einziges turkmenisches. Was als kultureller Brückenschlag verkauft werden soll, entpuppt sich als eurozentrisches Normbild von westlicher Ratio und vorderasiatischer Servilität. Die deutlichste Metapher für dieses Defizit liefert das Drehbuch selbst. Als Robert die Idee zum Bau eines Windseglers kommt, nimmt er als erstes Papier und Bleistift, um die Konstruktion zu skizzieren. Murad sitzt am Feuer, als ihm ein zerknüllter Papierball vor die Füße rollt. Der kleine Turkmene möchte wissen, was diese seltsame Zeichnung bedeuten soll. Doch der Deutsche wehrt nur ab: „Das ist ein Geheimnis.“ – „Ah! Ein Geheimnis!“ wiederholt Murad und starrt irritiert auf die Skizze. Dann später, wenn der Windsegler fertig ist, will Murad zeigen, daß er verstanden hat, was er mit seinem weißen Freund gebaut hat. Er zeigt stolz auf das Gefährt und sagt: „Geheimnis! Geheimnis!“

Auf die Frage, warum er so stark mit Klischees habe arbeiten wollen, verweist Aghte auf das Publikum und daß alles andere Minderheitenkino sei. „Karakum“ erhielt auf den Berliner Filmfestspielen den unicef-Filmpreis. Ewa Sophie Kippels

„Karakum“ von Arend Aghte, ab heute im Broadway A (Tauentzien 8, Schöneberg), ab 5.9. im Alhambra (Müller-/Ecke Seestraße, Wedding) und ab 7.9. im Bali (Teltower Damm 33, Zehlendorf).

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