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■ StandbildS/W-Vermächtnis

„Jahre der Kälte“, Dienstag, 23.40 Uhr, ZDF

1993. Ein Dachboden. Uli M. Schüppel findet einen Karton. Darin Skizzen, Texte, Gedichte seines verstorbenen Vaters aus den Jahren 1948 bis 1955, die er als politischer Häftling in Gefängnissen der SBZ, dann im sibirischen Arbeitslager Workuta schrieb – und ein Brief „An meinen noch ungeborenen Sohn, Workuta, im Juli 1953“.

Horst Schüppel, Jahrgang 1924, wendet sich in einem Moment größter Bedrängnis, als Maschinengewehre und Granatwerfer auf die rebellierenden Häftlinge gerichtet sind, an ein fiktives Gegenüber: „Vielleicht versteht es einmal der Mann, der dann meinen Namen trägt, wenn er sich Mühe gibt, das nachzuleben, was sein Vater ihm vorleben mußte.“

Der Berliner Filmautor Uli M. Schüppel, Jahrgang 1958, macht einen Film: „An meinen verstorbenen Vater“. Ein imaginärer Dialog zwischen Sohn und Vater, verwoben mit den Erinnerungen von Zeitzeugen und sensiblen Anschauungen von den Innenwelten der Gefängnisse und Lager. Das schwarzweiße Super 8-Material ist überzeugend gestaltet, es gewährt ungewöhnliche Einblicke, begleitet von der Musik Blixa Bargelds, die sich gleichermaßen auf die Balance von Anverwandlung und Distanz versteht. Das Bild des Vaters aber bleibt – sowohl in den Erinnerungen der Zeitzeugen als auch im Text des Autors – blaß. Kennenlernen kann man den Vater am ehesten anhand seiner eigenen Texte, Texte von poetischer Qualität, die von den Qualen, der abgrundtiefen Resignation zeugen. (Ich hätte mir für sie eine weniger oft gehörte Stimme als die des Christian Brückner gewünscht.)

Versäumte Fragen lassen sich eben nicht nachholen. Daß aber das politische Klima der Stalinisierung der sowjetischen Besatzungszone, das dem Gründungsmitglied der sächsischen LDP zum Verhängnis wurde, eher im dunkeln bleibt, liegt wohl in dem verstellten Zugang des Autors zur Geschichte („Alles blieb Geschichte, Zahlen, abstrakt, unvorstellbar“) und der daraus resultierenden Beschränkung auf das vermeintlich Individuelle. Es entstand so nur eine fragmentarisch wirkende Skizze. Eine Skizze allerdings, die uns die Not, die Verlorenheit dieser Untersuchungshäftlinge, während der Haftjahre nördlich des Polarkreises eindringlich vor Augen führt. Das Vermächtnis seines Vaters hat Uli M. Schüppel eingelöst. Renate Wollowski

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