piwik no script img

Verfassungsreform wird reformiert

Der Vermittlungsausschuß stärkt die Kompetenzen der Länder / Der Bundestag muß erneut über Umweltschutz, Mitmenschlichkeit und Antidiskriminierung beraten  ■ Aus Bonn Erwin Single

Nichts ist so gut, als daß man es nicht noch verbessern könnte. Das gilt ganz besonders für die neue Verfassung, von der am Ende, nach fast dreijährigen Beratungen, fast nichts als ein paar kosmetische Korrekturen übrigzubleiben drohen. Um den Konkurs des gesamten Vorhabens zu verhindern, hat sich gestern der Vermittlungsausschuß ein Herz gefaßt und die vom Bundestag nur eingeschränkt beschlossenen und anschließend vom Bundesrat abgelehnten Verfassungsänderungen noch einmal ergänzt.

So einigten sich die Vertreter von Bund und Ländern darauf, daß die Gesetzgebungsrechte der Länder nun doch gestärkt werden sollen. Auch der Schutz der Umwelt wird, wenn auch in der vom Bundestag bereits gebilligten, reichlich verwaschenen Formulierung, zum Staatsziel erkoren. Ebenfalls in das neue Grundgesetz aufgenommen werden sollen die Gleichberechtigung für Frauen sowie ein Diskriminierungsverbot für Behinderte. Alle Punkte will man nun in der kommenden Woche im Bundestag erneut zur Abstimmung stellen. Für Heribert Blens (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Henning Vorscherau (SPD) ist die notwenige Zweidrittelmehrheit so gut wie sicher.

Ob es allerdings auch für den Schutz der Minderheiten, einen Passus für „Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn“ und weiterreichende Kompetenzen der Länder bei Verwaltung und Organisation des Hochschulbereichs reicht, ist mehr als fraglich. Zwar fanden die entsprechenden Formulierungen gestern eine Mehrheit im Vermittlungsausschuß, sie gelten aber in den Reihen von CDU/CSU und FDP als nicht akzeptabel. Um zu retten, was noch zu retten ist, mußten die SPD-Vermittler klein beigeben und das Gesamtpaket aufschnüren: Über diese Punkte wird nun im Bundestag einzeln abgestimmt werden müssen, was vor allem die SPD-regierten Länder eigentlich verhindern wollten. Für die Koalitionsfraktionen ist es da ein leichtes, die umstrittenen Passagen wieder zu Fall zu bringen. So konnte Vorscherau lediglich an die Parlamentarier appelieren, vor allem den Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Achtung ethnischer, kultureller und sprachlicher Minderheiten nicht scheitern zu lassen.

Doch ob geltende Regel im Völkerrecht oder nicht, für die Union spielt das keine Rolle. Mit Empörung mußten sich SPD und Grüne vor einer Woche bei der Debatte im Bundesrat anhören, was beispielsweise Manfred Kanther (CDU) zu der Achtung von Minderheiten im neuen Artikel 20 b erklärte: Eine solche Klausel, so der Innenminister, wirke eher desintegrierend und sei daher abzulehnen.

Daß die Koalitionsparteien, die sonst für die Rechte von Minderheiten in aller Welt eintreten, im eigenen Land dafür aber nicht einmal Platz in der Verfassung finden, halten nicht nur Oppositionspolitiker für mehr als beschämend. „Wenn wir den Minderheitenschutz nicht ins Grundgesetz aufnehmen“, warnte Vorscherau, „werden wir den Nachbarn viel zu erklären haben.“ Und Joschka Fischer mahnte bereits im Bundesrat: „Hier geht es um die demokratische Seele dieser Republik.“

Wie wenig Appelle in letzter Minute jedoch nutzen, mußten Verfassungskommission und Opposition bereits bei der Abstimmung im Bundestag Ende Juni machen: Die Union machte, nicht ganz unerwartet, bei Minderheitenschutz und föderalen Kompetenzen einen Rückzieher. Ihre Auffassung, das Grundgesetz solle möglichst bleiben, wie es war, hatten sie bereits in der Verfassungskommission immer wieder demonstriert. So wurde weder die doppelte Staatsbürgerschaft noch die Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften aufgenommen, ganz zu schweigen vom Selbstbestimmungsrecht der Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch. So wird zum Schluß der Bundesrat in seiner Sitzung am 23. September eine Verfassungsreform besiegeln, die diesen Namen nicht verdient.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen