: Weltanschaulich unernster Geselle
■ 100. Geburtstag von Joseph Roth: Ein Kolloquium der LiteraturWERKstatt
Nein, wir ziehen keine Lehren aus den Schriften Joseph Roths, er gilt uns nicht als früher Verkünder einer multikulturellen Gesellschaft, und wir wollen auch seine neue Aktualität nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht erkennen. Die Germanisten wollen das, die Vertreterin des österreichischen Konsulats, die eine Roth- Ausstellung mit halbstündiger Ansprache eröffnen durfte, will das, und alle feiern seinen hundertsten Geburtstag deshalb besonders herzlich. Vom Verlag muß man wohl erwarten, daß er seinen Autor als zeitgemäß preist und ihn, wie Kiepenheuer zur Feier des Jahres, in lächerlich bunte Bändchen steckt. Auf dem Kolloquium der Berliner LiteraturWERKstatt gab es derlei Versuche, Roth als politisches Vorbild auszubauen auch, und das war ärgerlich.
Joseph Roth war politisch nun wahrlich nicht korrekt, im Weltanschaulichen ein ganz unernsthafter Geselle und im Umgang mit Freunden oft zu einigen Bösartigkeiten fähig. Was an Roth heute noch fasziniert, ist die Tragik seines Lebens, die Klarheit seiner Gedanken und seiner Sprache, die er noch nach größeren Mengen bunter Schnäpschen sich bewahrte und die wunderbare, melancholische, verklärende und immer märchenhaftere Melodie in seinen Romanen.
Wenn man ihn sich denn politisch unbedingt zum Vorbild nehmen möchte, muß man seine Feuilletons und Reportagen aus dem Berlin der frühen zwanziger Jahre lesen. Die Hellsichtigkeit, mit der er schon damals vor dem drohenden Faschismus warnt, ist auch im Vergleich mit den kritischsten Journalisten der Weimarer Republik erstaunlich. Am visionärsten war sein Kommentar zur Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten, die er als die letzte Station des Weges beschreibt, der notwendigerweise zum Faschismus führe.
Noch am selben Tage tritt er seine Stelle als Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Paris an, und diese Fahrt, auch wenn lange vorher geplant, trägt alle Anzeichen einer Flucht. So sah Dieter Kliche im einzigen Kolloquiums- Beitrag, der wirklich neue Ansätze lieferte, den entscheidenden Bruch im Leben Joseph Roths nicht mit Anbruch des Dritten Reiches, wie es sonst meist getan wird, sondern verlegte ihn in das Berlin nach 1922, nach dem Mord an Walter Rathenau.
1920 war Roth nach Berlin gekommen und hatte schnell bei den verschiedensten Zeitungen als Reporter Fuß gefaßt und versuchte, in der fremden Stadt heimisch zu werden. Und das hieß für Roth auch, der im östlichsten Winkel des österreichischen Kaiserreichs geboren worden war, sich als Jude zu assimilieren, gar sein Judentum und seine ostjüdische Herkunft zu verleugnen. Seinen Geburtsort verlegte er kurzerhand nach Schwabendorf, was deutscher klang und nur zehn Kilometer von seinem wirklichen Geburtsort Brody entfernt war, seinen Vornamen Moses legte er ab. Doch nach der zunehmenden Brutalisierung des öffentlichen Lebens, dem Erstarken der nationalistischen und antisemitischen Kräfte, erkennt Roth die Vergeblichkeit seiner Assimiliationsversuche, betont nun im Gegenteil sein Ostjudentum und entfremdet sich der Weimarer Republik mehr und mehr.
So kommt Joseph Roth nach Paris. „In Paris erst fangen die Ostjuden an, Westeuropäer zu werden. Ihr Witz begegnet dem französischen auf halbem Weg. Paris ist eine wirkliche Weltstadt.“ Spätestens hier nahm Roth auch Abschied von dem, was er in Berlin „seinen Sozialismus“ genannt hatte, und was immer nur sein Wille zu einer universellen Humanität gewesen war, und wandte sich dem Katholizismus zu.
Er schreibt jetzt vorrangig Romane. Für Zeitungen arbeitet er nur noch, um finanziell unabhängig zu sein und sich sein luxuriöses Hotelleben leisten zu können, doch das Geld zerrinnt ihm immer wieder unter den Händen. Er schreibt und schreibt, doch jeder Artikel oder Roman, an dem er an seinem Kaffeehaustisch gerade arbeitet, ist immer schon verkauft. 1929 läßt er sich gar von den Münchner Neusten Nachrichten engagieren, die er noch ein Jahr zuvor als reaktionär gegeißelt hatte. Zweitausend Mark erhielt er hier monatlich, für zwei Feuilletons, eher ein Vertrag zum Nichtschreiben. Als er mit der Redaktion jedoch einen Vertrag über zwanzigtausend Mark für den Vorabdruck eines Romans abschloß, diese jedoch bei der Durchsicht ein kleines Zettelchen fand, auf dem stand, „muß den Roman in drei Tagen schreiben“, da wollte man nicht zahlen, und Roth war empört. Auch der Vorabruck vom Radetzkymarsch, Roths wohl berühmtesten Roman, hatte in der Frankfurter Zeitung schon begonnen, als Roth noch mitten im Schreiben war.
Seine Utopie war inzwischen die Wiedererrichtung der alten Donaumonarchie geworden, die ihm als vorbildliches Beispiel für friedliches Miteinander aller Völker und einen altväterlich weise geführten Gottesstaat galt. Und je schlechter es ihm nach 1933 im Pariser Exil ging, um so entschiedender forderte er die alte Monarchie zurück. Sein heimlicher Plan war, den Thronfolger Otto von Habsburg in einem Sarg nach Wien zu schmuggeln und ihn dort kurzerhand als Herrscher zu proklamieren. Er fuhr eigens nach Wien, um seinen Plan mit Schuschnigg zu besprechen und kam doch über den Portier nicht hinaus.
Er trank immer mehr, schrieb immer mehr und immer schneller, verkaufte Romane, die nur in seinem Kopf existierten, an mehrere Verleger gleichzeitig, und nur seinem Freund und Gönner Stefan Zweig hatte er es zu verdanken, daß er irgendwie weiterexistierte. Das erschütterndste Buch Joseph Roths sind seine Briefe, die uns gar nichts lehren, nur ein Leben beschreiben, das sich zielstrebig auf den Tod zutrinkt und in dem Romane nur geschrieben wurden „um sich zu verlieren in fremden Schicksalen“.
Das Kolloquium in der Berliner LiteraturWERKstatt faßte an diesem Wochenende zum großen Teil leider nur Altbekanntes zusammen. Mit nur einigen wenigen neuen Ansätzen zum Journalisten Joseph Roth, scheiterte man in dem Versuch, Roth zu einem Lehrmeister des neuen Europa zu machen. Volker Weidermann
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