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"Vom Saulus zum Paulus"

■ Nach jahrelangem Gezeter unterstützt nun auch die Kreuzberger CDU den Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft mit San Rafael del Sur in Nicaragua

Die frohe Botschaft aus dem fernen Berlin wird sich in San Rafael del Sur wie ein Lauffeuer ausbreiten: Der Kleinkrieg um die Partnerschaft Kreuzbergs mit der nicaraguanischen Landgemeinde, den die CDU vor fast zehn Jahren in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) anzettelte, ist begraben. Nach der Wende in der CDU-Außenpolitik darf der Bürgermeister Jorge Perez Farach den knapp 63.000 Bewohnern San Rafaels nach seinem jüngsten Berlinbesuch versichern, daß jetzt die gesamte BVV in Sachen Freundschaft an einem Strang zieht.

Vier Jahre nach der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua bekennt sich die CDU-Fraktion endlich zur Partnerschaft mit San Rafael. Sogar Lob haben die CDUler mit einem Mal für den Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft übrig, der 1984 die ersten Kontakte nach Nicaragua knüpfte. Die CDU, sagt Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD), habe sich „vom Saulus zum Paulus gewandelt“. Die Christdemokraten sind vom beinharten Widersacher zu einem der Förderer des Vereins geworden. Hinter diesem hatte die CDU einst einen Haufen kommunistischer Revoluzzer vermutet, zugleich Verrat an der deutsch-amerikanischen Freundschaft gewittert. Ausgerechnet im amerikanischen Sektor eine solche Verbindung einzugehen, mithin Helfershelfer der Sandinisten gegen Reagan und Bush zu werden – das durfte nicht sein.

Trotz der 1984 mit der Stimmenmehrheit von SPD und AL in der BVV beschlossenen Liaison blieb der damalige CDU-Bürgermeister Wolfgang Krüger 1985 der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde trotzig fern. Er fuhr, da das Rathaus Gäste aus Übersee empfing, geschwind in Urlaub. Seine Parteifreunde überreichten dem damaligen nicaraguanischen Bürgermeister eine Nachbildung der Freiheitsglocke und eine Liste mit Menschenrechtsverletzungen. Berlin sei die Stadt der Freiheit, und die hätten die USA gebracht, belehrten sie das Stadtoberhaupt von San Rafael, ehe sie den BVV-Saal demonstrativ verließen. Eine Geschichte, wie aus dem Kalten Krieg gegriffen.

„Nur noch dunkel“ kann sich etwa Alexander Bölter, stellvertretender CDU-Fraktionschef, an den Zwist erinnern. Klar sei, daß „wir logischerweise nicht soviel mit den Sandinisten am Hut hatten“, sagt Bölter, der im November vergangenen Jahres als erster CDU- Vertreter mit einer Rathausdelegation nach San Rafael geflogen ist. Der vierstündige Videofilm, den er drehte und nach der Rückkehr seinen Fraktionskollegen zeigte, überzeugte auch die letzten kalten Krieger. Noch nie, erzählt Bölter, habe er „so viel Elend auf einem Fleck gesehen“: Windschiefe Holzhütten, armselige Kleidung, zuwenig Essen, kein Strom, fast überall verseuchtes Grundwasser. Die Region, erkannte Bölter auf Anhieb, hat Hilfe bitter nötig. Schwer beeindruckt habe ihn, was der Verein mit seinen Arbeitsbrigaden auf die Beine gestellt hat. „Auch wenn ihn Anhänger von SEW, SPD und AL gegründet haben.“

Der Schwerpunkt der Kreuzberger Hilfe liegt seit 1987 bei der Wasserversorgung. Das verseuchte Grundwasser verursache chronischen Durchfall, die häufigste Todesursache bei Kindern in Nicaragua, berichtet die stellvertretende Vereinsvorsitzende Heike Krieger. Bisher hätten die freiwilligen Helfer, die den humanitären Einsatz aus eigener Tasche bezahlen, insgesamt 27 Schachtbrunnen gegraben. Sechs zentrale Trinkwasseranlagen mit Leitungen in einer Gesamtlänge von 150 Kilometern versorgen inzwischen rund 25.000 Menschen mit sauberem Trinkwasser. Zugleich wurden mehrere Dorfschulen saniert, Medikamente und medizinische Geräte organisiert und 19 Container mit Hilfsgütern in die Region geschickt. Bis heute seien Spenden in Höhe von 1,5 Millionen Mark in die Entwicklungshilfe gesteckt worden, so Krieger. Nur gelegentlich werde die Arbeit vom Senat oder der Europäischen Union bezuschußt. Das Kreuzberger Rathaus überweist jährlich lediglich 30.000 Mark für die Büroorganisation des fast 120 Mitglieder zählenden Vereins.

Das kann aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Denn der Gesamtetat des mittelamerikanischen Landes, sagt Strieder, betrage gerade einmal 445 Millionen Dollar pro Jahr für vier Millionen Einwohner. Den 160.000 Kreuzbergern stünden dagegen jährlich 860 Millionen Mark zur Verfügung. Da bleibe einem schon die hiesige „Weinerlichkeit im Halse stecken“. Und „Don Peter“, wie sie ihn in der Partnergemeinde nennen, fügt hinzu: „Wir dürfen nicht nur auf unseren eigenen Bauch schauen.“ Das kommt an. „Die Kreuzberger“, lobt Bürgermeister Farach, „sehen uns nicht als Menschen, die sie ausbeuten können.“ Deshalb sei der Berliner Kiez „aus der Geschichte San Rafaels nicht mehr wegzudenken“. Frank Kempe

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