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Im Zeichen des Drachen

Taoistisches Zeremoniell und fliegende Paddel bei der Drachenboot-EM in Berlin  ■ Aus Grünau Matthias Mellinghaus

Zwei zitronengelbe Drachen tollen im Kampf mit einem hüpfenden Kung-Fu-Männchen über eine Wiese. Eine kahlgeschorene Tao-Priesterin ruft einer kleinen Buddhastatue auf einem rotbedeckten, blumengeschmückten Altar mit heller Stimme Gebete und Gesänge entgegen. Zehn Graugewandete, in würdevoller Haltung erstarrt, untermalen die Beschwörungsformeln der Priesterin mit sonorem Gebrumm. Dahinter erhebt sich eine Tribüne, vollgepackt mit 2.000 grellbunten jungen Menschen, die stehend und andächtig verfolgen, wie die Priesterin mit Gefolgschaft drei furchteinflößenden Drachenköpfen Augen aufmalt.

„Holla, was'n das“, denkt sich der ahnungslose Spaziergänger, der seine Runde durch Grünau im Berliner Süden zieht, „'ne neue Sekte, oda wat?“ Nichts davon, denn spätestens nach der kürzesten Eröffnungsrede in der Geschichte des Weltsports („Ich erkläre die dritten Drachenboot-Europameisterschaften für eröffnet!“) muß dem Unwissenden aufgegangen sein, wo er sich befindet.

Drachenbootsport ist was für lustige Leute: anstelle tierischen Ernstes beherrscht eine merkwürdige Mischung aus Disziplin und Chaos die Szenerie. Ein Sprecher fordert über Lautsprecher ständig irgendwelche Teams ultimativ auf, sich an den Start zu begeben, um Vor-, Hoffnungs-, Zwischen-, oder Halbfinalläufe zu absolvieren. Eigentlich kein Problem, nur bestehen die aufgerufenen Mannschaften in aller Regel je zur Hälfte aus Sportlern und aus Spaßvögeln. Während die Sportler sich mit absurd anmutenden Bewegungen ständig warm machen, erliegt die andere Gruppe der Verlockung der fremdartigen Düfte, die vom Asia-Imbiß ausgeht, oder vertreibt sich die Zeit mit holdem Biergenuß. Die Folge: in wilder Hast versuchen ständig Rumpfteams, zwanzig Athleten, einen Trommler und ein Steuerleut aufzutreiben. Und so passiert es, daß arglosen Spaziergängern oder Paddlern flugs ein Hemd übergestreift wird und diese sich plötzlich im Boot einer wildfremden Mannschaft am Start eines Rennens wiederfinden.

Da sitzen die Opfer dann weit vorgebeugt und harren erregt des Kommandos „Attention - Are you ready - GO!“, um dann in unglaublicher 70er bis 90er Frequenz zum Rhythmus der Trommel das Paddel durchs Wasser zu hauen.

Schnell kristallisieren sich Favoriten heraus: international sind die flinken Schwedinnen gefürchtet, die deutschen Angstgegner aller sind die Drag Attacks aus Wuppertal und die Schwerin Dragons. Beide Teams setzen sich im wesentlichen aus ehemaligen Kanurennsportlern zusammen, denen die eher lebensorientierten Spaßguerilleros, die das solide Fundament des Drachenbootsports bilden, zumindest auf dem Wasser wenig entgegenzusetzen haben.

Tom Atwood (39) ist Captain der Pacific Rims, einer gemischten Kanada-USA-Mannschaft, die am „Open Race“ teilnimmt. „Definitely more party here“, meint er und zeigt sich begeistert über das Rahmenprogramm. Sitar-Orchester und Wu-Shu-Vorführungen (eine asiatische Kampfsportart, die durch reizvolles Rumgefuchtel von Gliedmaßen, Schwertern und Hellebarden besticht), so was gäbe es in den USA nicht, dafür aber allein in Portland 60 Teams, im Schnitt „zehn Jahre älter und zwei Kinder mehr als diese Typen hier“.

Das philippinische Boot ist wegen Visaproblemen nur mit zehn Leuten angereist. Nach seiner Motivation befragt, schwärmt Kapitän Nooney Lopez von der Faszination der Drachenpaddelei, die für ihn „Bewegung, Teamsport und internationale Freundschaft“ verkörpere, vor allem aber „Interaktion“. Was das heißt, demonstriert er sogleich, indem er zwei baumlangen und biertrinkenden Hamburgern lächelnd erklärt, sie hätten die einzigartige Ehre, jetzt gleich als Gast im philippinischen Boot mitfahren zu dürfen. Von derart ausgesuchter Höflichkeit verblüfft, folgen die Hünen ihm auf dem Fuß.

Europameister über 500 Meter wurden schließlich bei den Männern die Schwerin Dragons vor den Drag Attacks aus Wuppertal, bei den Frauen waren die Malmöerinnen nicht zu schlagen. Für die Funsportler blieben Siege und Plätze in diversen offenen Klassen, so hatten alle was zu feiern. Als habe ein Drache gerade den Jackpot geleert, bildeten sich spontan Spaliere hüft- und paddelschwingender Sportler, die von den triefenden Siegern durchlaufen werden mußten und in denen jeder einzelne zu sinnlos-lauten „Schubidi-Schubidi-Schubidi“-Gesängen abgeklatscht wurde. Spätestens hier waren Feier- und Sportfraktion wieder versöhnt.

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