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Die Suche nach der Mehrheit ohne PDS

Das rot-grüne Minderheitskabinett in Sachsen-Anhalt muß sich jetzt im September erstmals Mehrheiten basteln / Die CDU lehnt Vorschläge zur Zusammenarbeit bisher ab  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

Die rot-grüne Minderheitsregierung von SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner konnte ihre Politik bislang am grünen Kabinettstisch machen. Der politische Ernstfall, die Suche nach Mehrheiten, wird erstmals am 8. und 9. September eintreten. Dann tritt der Landtag von Sachsen-Anhalt zu seiner ersten Sitzung zusammen, und dann wird sich erstmals zeigen, ob Höppners Rechnung der wechselnden Mehrheiten aufgeht. Die CDU hadert nämlich noch immer mit ihrem Schicksal, als stärkste Fraktion auf der Oppositionsbank sitzen zu müssen und lehnte bislang alle Vorschläge von Rot-Grün zur Zusammenarbeit ab. So zum Beispiel den von Wirtschaftsminister Wolfgang Gramke, den Höppner zur Besänftigung der Bedenken gegen die Minderheitsregierung in Wirtschaftskreisen nach Magdeburg holte. Gramke ist ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, meisterte in führender Position den Strukturwandel im Ruhrpott. Der neue Minister kündigte bei Amtsantritt einen strikt überparteilichen Kurs an und hat bereits ein Expertengremium von Wirtschaftsfachleuten berufen, das überwiegend durch ausgewiesene Kritiker der Minderheitskoalition zusammengesetzt ist. Unter anderem mit IG-Chemie-Chef Hermann Rappe und dem Geschäftsführer des Ostverbandes der Chemischen Industrie, Volkhardt Uhlig. Der war selbst als Wirtschaftsminister vorgesehen, warf aber kurz vor der Regierungsbildung das Handtuch, weil sich die Sozialdemokraten partout nicht von einer großen Koalition überzeugen lassen wollten.

Die ersten Wochen der Regierung Höppner zeigten eine Mischung aus Kontinuität und Neuanfang, deren spätere Entwicklung derzeit noch nicht so ganz absehbar ist. Politische Beobachter äußerten sich ausgesprochen verwundert, wie viele leitende Beamte, auch in ausgesprochen politischen Positionen, von der neuen Regierung übernommen wurden. Auch das ist möglicherweise ein Signal in Richtung CDU, doch bitteschön die Verweigerungshaltung aufzugeben und die rot-grüne Minderheitsregierung nicht auf Gedeih und Verderb der Duldung durch die PDS auszuliefern.

Umweltministerin Heidrun Heidecke mußte sich, kaum im Amt, mit Morsleben herumschlagen. Zwar will sie, so wie es in den Koalitionsvereinbarungen steht, alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, das einzige deutsche Atomklo an der früheren deutsch-deutschen Grenze zu schließen, aber dieser Spielraum ist angesichts des Weisungsrechts von Bundesumweltminister Klaus Töpfer ausgesprochen eng. Greenpeace-Aktivisten warfen der von den Bündnisgrünen nominierten Heidecke angesichts neu entdeckter Wasser- und Laugenzuflüsse aus dem Deckgebäude des Atommüll-Endlagers Untätigkeit vor.

Innenminister Manfred Püchel (SPD) machte sich gleich nach Amtsantritt daran, die vielfach kritisierte Polizei umzukrempeln. Eine zentrale Koordinierungs- und Ermittlungsstelle zur Bekämpfung des Rechtsextremismus soll künftig die Ermittlungen und Strafverfolgungen bei rechtsradikalen Straftaten koordinieren.

Auch Püchel hat sich mit Erblasten aus CDU/FDP-Zeiten herumzuschlagen. Zum Beispiel bei der Frage um die künftige Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide. Allerdings geht das konservative Bonn in diesem Streit mit ihm nicht so pfleglich um wie mit seinen CDU-Vorgängern. Noch während Püchels Staatssekretär in Bonn klinken putzte und über eine zivile Nutzung der Heide verhandelte, schuf das Verteidigungsministerium vollendete Tatsachen und zog geradezu in Besatzermanier mit einer ersten Einheit in die gerade von den GUS-Truppen geräumte Garnison ein. Ein von der Hardthöhe in Auftrag gegebenes Gutachten belege, so heißt es aus Bonn, daß die Heide als wichtiges Trinkwasserreservoir durch die weitere militärische Nutzung nicht beeinträchtigt werde. Die rot-grüne Minderheitsregierung sieht das allerdings ganz anders und stützt sich dabei auf dasselbe Gutachten.

Die ersten politischen Taten des neuen Kabinetts erschöpften sich vielfach in symbolischen Gesten. Im Gegensatz zu Hessen verfügte die rot-grüne Minderheitsregierung wegen hoher Ozonwerte ein Tempolimit von 80 km/h, aber nur für ein Teilstück der Autobahn 2. Auf Bundes- und Landstraßen sowie auf der A 9 regierte weiter der Bleifuß.

Eine Autobahn könnte auch der erste Konfliktfall für Rot-Grün werden. Zwar vereinbarten die Koalitionspartner, daß sie die Autobahn 82 von Halle nach Göttingen lieber nicht wollen und verkündeten das auch nach der Regierungsübernahme. Seit das allerdings Entrüstung selbst bei Sozialdemokraten in den betroffenen Gebieten auslöste, glaubt Bau- und Verkehrsminister Jürgen Heyer (SPD), daß in Sachen A 82 das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Und das, so muß auch Heyer einsehen, steht ohnehin weder ihm noch seinem Ministerpräsidenten zu. Die A 82 ist im Bundesverkehrswegeplan verankert worden und damit beschlossene Sache mit Gesetzeskraft.

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